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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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roten Sonne sehen, der sich auf dem Boden abzeichnete.
    In dem Zimmer war noch jemand. Als ihm das urplötzlich bewusst wurde, war er wie gelähmt. Er konnte jemanden atmen hören – ganz leise und ganz in der Nähe des Bodens.
    Seine Hand griff nach den Pistolen an seinem Gürtel, und als ihm einfiel, dass sie nicht mehr da waren, stieß er einen lautlosen Fluch aus. Er drückte sich mit dem Rücken gegen die Tür und tastete nach einem Lichtschalter. Seine Finger fanden einen Porzellanknopf, und er drehte ihn. Entlang der Wände leuchteten Lampen auf.
    Er war in einem kleinen Wohnzimmer. Darin befand sich ein Kleiderschrank, eine Ottomane, zahlreiche Teppiche und mit Quasten verzierte Kissen, die auf dem Boden verstreut waren. Und ein Mädchen. Ein Mischlingskind, das auf einem Kissen aus jadegrüner Seide lag. Sie hatte ein spitz zulaufendes Gesicht, und auf ihrem Kopf wuchsen Zweige. Sie schlief tief und fest.
    Mr.   Jelliby ließ die Hand sinken. »Hettie?«, flüsterte er und machte ein paar Schritte auf sie zu. »Heißt du Hettie, kleines Mädchen?«
    Das Kind regte sich nicht. Doch dann schien es beinahe, als könnte sie sogar in ihren Träumen spüren, dass sie beobachtet wurde, denn nach kaum mehr als einer Sekunde oder zweien setzte sie sich ruckartig auf. Und sah Mr.   Jelliby aus großen schwarzen Augen an.
    »Keine Angst«, sagte er, ging in die Hocke und lächelte. »Bartholomew ist auch hier. Wir sind gekommen, um dich zu retten. Du musst dich nicht fürchten.«
    Ihr Gesicht blieb angespannt. Eine ganze Weile starrte sie ihn nur an. Dann schrak sie zusammen und flüsterte: »Machen Sie das Licht aus. Schnell, Sir, machen Sie es aus !«
    Mr.   Jelliby sah sie verwirrt an. Dann hörte er es auch. Schritte kamen den Korridor entlanggeeilt. Nicht die tänzelnden Schritte von Mr.   Lickerish oder die schlurfenden Schritte des buckligen Gnoms. Etwas Schweres, Starkes war dort draußen, und es kam direkt auf die Tür des Wohnzimmers zu.
    Mr.   Jelliby sprang auf und drehte hektisch an dem Knopf. Die Lampen erloschen. Er stürzte durchs Zimmer und verschwand hinter den Vorhängen. Jemand blieb vor der Tür stehen. Eine Hand legte sich auf den Schlüssel. Wurde wieder zurückgezogen. Ein Innehalten. Dann krachte die Tür auf.
    Mr.   Jelliby konnte ganz kurz sehen, wie eine Gestalt das Zimmer betrat, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel. Wer auch immer das war, er schaltete kein Licht an. Aber die Gestalt hatte eine Lampe. Eine kleine grüne Kugel schwebte in der Finsternis. Sie tickte leise, klack-kleck-klack, wie eine Uhr. Die Kugel wurde ein kleines Stück größer. Plötzlich leuchteten die Lampen auf. Da stand der Feenbutler, sein mechanisches Auge auf die rückwärtige Wand gerichtet, die Stirn ganz leicht gerunzelt.
    »Kleines Mädchen?«, fragte er mit seiner triefenden, winselnden Stimme. »Kleines Mädchen, verrate mir etwas. Kannst du durch Wände gehen?«
    Hettie sah ihn nicht an. »Nein«, sagte sie, das Gesicht in ihr Kissen vergraben.
    »Oh.« Die Miene des Feenbutlers verdüsterte sich. »Warum war die Tür dann nicht abgeschlossen?«
    Mr.   Lickerish streckte einen langen Finger aus und berührte Bartholomew am Kinn. Dann krümmte er den Finger unvermittelt, und das Gesicht des Jungen zuckte nach oben. Bartholomew rang nach Luft und biss sich auf die Zunge, um nicht laut aufzuschreien.
    »Mischlinge sind Kinder beider Welten, verstehst du?«, sagte Mr.   Lickerish. »Ein Menschenkind mit dem Blut der Feen. Eine Brücke. Ein Portal. Aber glaube jetzt bloß nicht, dass ich dir meine Pläne erläutern werde, denn das habe ich nicht vor. Du bist viel zu dumm, um sie zu verstehen.«
    »Erklären Sie mir nur, warum es Hettie sein muss«, sagte Bartholomew und wand sich im Griff der Rattenfee. Er wusste, dass sein Ende bevorstand. Er würde Glück brauchen, um hier lebend rauszukommen. Es hatte keinen Sinn mehr, ängstlich zu sein. »Warum nicht eines der anderen Kinder? Warum nicht der Junge aus dem Haus gegenüber?«
    »Der Junge aus dem Haus gegenüber? Wenn du damit Kind Nummer neun meinst – das war mit einem Makel behaftet. Eine degenerierte Kreatur, wie schon die acht Kinder davor. Abkömmlinge gemeiner Feen, alle miteinander. Söhne und Töchter von Kobolden und Gnomen und Spriggan. Das Portal hat sich für sie geöffnet, das schon. Aber es war ein sehr kleines, sehr schwaches Portal. Und es hat sich in ihnen geöffnet.«
    Das Feuer knisterte im Kamin. Mr.   Lickerish lachte leise

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