Die Shakespeare-Morde
Schwarzweißfoto
nur eine Farbe in Erscheinung treten konnte: Rot. Dunkles Scharlachrot.
Ich kannte den Hut, in
Technicolor. Er hatte neben Ros’ Leiche gelegen.
Als ich aufsah, ging mein
Atem schnell und flach. »Wo haben Sie das her?«
»Aus ihrem Privatjet«,
sagte Ben.
»Warum haben Sie mir
nichts davon erzählt?«
»Ich war mir nicht
sicher, was es zu bedeuten hat.«
Es ist etwas Großes, hörte
ich Ros sagen. Größer als Hamlet?, antwortete meine Stimme. Größer…
Du musst dem Weg folgen, den
es dir weist.
Bisher hatte es zu zwei
weiteren Toten geführt. »Es ist alles meine Schuld«,
sagte ich mit hohler Stimme, während meine vagen Schuldgefühle
sich zur festen Überzeugung verdichteten. »Ich habe Athenaide
zu Dr. Sanderson geführt. Und zu Maxine Tom.«
Ben legte mir die Hände
auf die Schultern und schüttelte mich sanft. »Hören Sie
zu: Es spielt keine Rolle, wer hier wem folgt. Es ist nicht Ihre Schuld.«
Ich klammerte mich an seine
Worte, und die Schuldgefühle verwandelten sich in Wut. Ben hatte
recht: Es spielte keine Rolle, ob ich die lägerin oder die Gejagte
war. Meine Entscheidung stand fest. Ich musste das Ziel erreichen, bevor
es der Mörder erreichte. »Westminster Abbey«, flüsterte
ich heiser.
»Eine Regel«,
sagte Ben. »Sie bleiben immer in meiner Sichtweite. Immer. Selbst
beim Beten und beim Pinkeln.«
»In Ordnung.«
»Versprochen?«
»Versprochen. Bringen
Sie mich nach London.«
Wieder griff er in seine
Tasche. Er zog ein kleines dunkelblaues Heftchen mit einem goldenen Adler
auf der Vorderseite hervor. Ein Pass. Ich öffnete ihn. Darin war mein
Foto. Zumindest war es mein Gesicht. Aber mein Haar war kurz und dunkel,
und in dem Pass stand ein Männername: Johnson, William, geboren: 23.
April 1982.
»Sie müssen sich
die Haare färben, dann schneide ich sie Ihnen ab. Es sei denn, Sie möchten
sie selbst schneiden.«
»Warum ein Mann?«
»Hier geschehen scheußliche
Morde, Kate. Genug, dass man von einem wahnsinnigen Serienmörder
sprechen kann. Das Sicherheitsnetz am Flughafen wird eng sein, und es
zieht sich weiter zu.« Dann grinste er aufmunternd. »Außerdem
muss jede echte Shakespeare-Heldin sich wenigstens ein Mal als Mann
verkleiden.«
»Und Sie glauben, das
funktioniert?«
»Haben Sie einen
besseren Vorschlag?«
»Geben Sie mir die
Haarfarbe.«
Er kramte in ein paar
Einkaufstüten, die auf der Arbeitsplatte standen, dann reichte er mir
eine Haartönung und zeigte mir, wo das Bad war. Im Spiegel
betrachtete ich das vertraute Rot meines Haars. Die Packung versprach, die
Tönung sei auswaschbar. In der Hoffnung, dass es stimmte, hielt ich
den Kopf unter den Wasserhahn.
Meine Haare waren nass und
fast schwarz, als Ben zur Schere griff. Als er fertig war, blickte mir im
Spiegel ein Gesicht entgegen, das männlich oder weiblich sein konnte.
Schwer zu sagen. In den Kleidern, die ich trug - schwarzer Rock und Stöckelschuhe
-, war die Wahl allerdings ziemlich eindeutig.
Ben lachte. Im Flur standen
zwei kleine Rollkoffer. Er übergab mir einen. »Ohne Gepäck
nach Europa zu reisen wäre etwas verdächtig«, sagte er.
»Außerdem brauchten Sie sowieso ein paar neue Sachen. Das Zeug
hier muss eine Weile halten, also passen Sie gut darauf auf.« In dem
Koffer fand ich eine weite Hose, ein langärmeliges Buttondown-Hemd,
ein weites Sakko, Socken und Schuhe. Die Sachen saßen nicht so gut
wie das, was Sir Henry für mich besorgt hatte, aber es reichte. Im
letzten Moment fischte ich Matthews Visitenkarte aus meiner Bluse und
steckte sie in die Sakkotasche.
»In England wird jede
Queen entzückt sein«, erklärte Ben grinsend, als ich aus
dem Bad kam. Er reichte mir eine lange Kette. »Für die Brosche«,
sagte er. Und so hängte ich mir die Brosche zum zweiten Mal um den
Hals. Diesmal trug ich sie tief unter dem Hemd.
Zehn Minuten später
nahmen wir ein Taxi zum Flughafen Dulles.
Wieder warteten am Schalter
Tickets auf uns, und wieder stand ein falsches Reiseziel darauf. Nur dass
wir das Flugzeug diesmal tatsächlich bestiegen.
Um Mitternacht saßen
wir an Bord der Maschine nach Frankfurt am Main.
29
Ausnahmsweise flogen wir
Economy. Luxus, erklärte Ben, habe seine Nachteile, wenn man
unbemerkt in der Menge untertauchen wolle. Als das Flugzeug abhob, sah ich
nach, ob der Chambers noch vor mir in der
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