Die Shakespeare-Morde
Stimme wie seine Kleider und selbst die Augen waren von einem
unbestimmten Ton zwischen Grau und Schwarz. »Es fing damit an, mein
Lord, dass heute Morgen der Kanonier des Theaters plötzlich
erkrankte. Sein Ersatzmann scheint die Kanone mit loser Watte gefüllt
zu haben. Fast drängt sich der Verdacht auf, die Watte wäre mit
Pech getränkt gewesen.« Sein Mund zuckte. Ein verschlagenes Lächeln
vielleicht.
»Sprich weiter.«
Northampton wedelte ungeduldig mit der Hand.
»Das Stück, das
sie am Nachmittag zeigten, war relativ neu: Heinrich VIII‹.«
»Der große Harry«,
murmelte Suffolk, der mit einer Hand im Wasser spielte. »Unserer
alten Königin Vater. Gefährliches Terrain.«
»In vielen Beziehungen,
mein Lord«, sagte Seyton. »Das Stück ist ein wahrer
Karneval der Effekte, sogar ein echter Kanonenschuss kommt darin vor. Als
die Kanone gezündet wurde, war das Publikum vom Spektakel so in den
Bann geschlagen, dass keiner die Funken bemerkte, die auf dem Dach
landeten. Bis jemand den Rauch roch, stand das Stroh längst in hellen
Flammen, und es blieb nichts als die Flucht.«
»Opfer?«
»Zwei Verletzte.«
Mit blitzenden Augen sah er Theo an. »Ein Mann namens Shelton.«
Theo erbleichte. »Wie?«,
stammelte er. »Wie schwer verletzt?«
»Verbrennungen. Nichts
Schlimmes. Aber aufsehenerregend. Von meinem Posten - einem sehr guten,
wenn ich sagen darf - konnte ich sehen, wie er das Kommando übernahm
und die Flucht aus dem Gebäude organisierte. Doch als vermeintlich
alle in Sicherheit waren, tauchte plötzlich
ein kleines Mädchen in einem der oberen Ränge auf. Ein hübsches
Ding mit dunklem Haar und wilden Augen. Ein Hexenkind, wenn es je eins
gab.
Bevor man ihn aufhalten
konnte, war Mr Shelton in den Flammen verschwunden. Minuten vergingen, und
die Menge heulte schon, doch dann trat er mit dem Kind im Arm durch den
Feuervorhang. Sein Rücken stand bereits in Flammen. Eine Hure löschte
ihn mit einem Fass Ale, worauf er ein zweites Mal verschwand, diesmal in
einer Dampfwolke. Seine Hosen waren verkohlt, doch wundersamerweise kam
der Mann mit leichten Brandwunden davon.«
»Wo ist er jetzt?«,
rief Theo. »Warum habt Ihr ihn nicht mitgebracht?«
»Ich kenne den Mann
kaum, Mylord«, verteidigte sich Seyton. »Außerdem ist er
der Held der Stunde. Es wäre mir nie gelungen, ihn unbemerkt aus der
Menge zu lotsen.«
Northampton bedachte seinen
Großneffen mit einem verächtlichen Blick, dann beugte er sich
vor. »Und das Kind?«
»Bewusstlos.«
»Bedauerlich«,
sagte der alte Graf. »Aber Kinder können überraschend
stark sein.« Er tauschte eine wortlose Botschaft mit seinem Diener.
»Vielleicht überlebt sie.«
»Vielleicht«,
sagte Seyton.
Northampton richtete sich
auf. »Und der Kanonier?«
Wieder kräuselte sich
Seytons Mund zum Schatten eines Lächelns. »Von ihm fehlt jede
Spur.«
Northamptons Gesicht zeigte
keine Veränderung, doch es ging eine düstere Zufriedenheit von
ihm aus.
»Das Wichtigste ist das
Theater«, sagte Suffolk.
Seyton seufzte. »Ein
Totalverlust, Mylord. Mit dem Bühnenhaus im Rücken wird das
Theater von den Lagern umringt, mit allen Kostümen und Gewändern,
Folienjuwelen, Holzschwertern und Schildern -dem ganzen Besitz der Truppe.
Alles ist hin. John Heminges stand auf der Straße und flennte um
seinen süßen Palast, seine Konten und vor allem seine Textbücher.
Die King’s Men, Mylords, sind heimatlos.«
Mit einem Mal erhob sich
über dem Wasser ein großes Brüllen himmelwärts. Was
von dem Schauspielhaus übrig war, stürzte in sich zusammen. Zurück
blieb ein Haufen Asche und glühender Kohle. Über das Wasser zog
ein Schwall heißer Luft und blies ein Rußgestöber vor
sich her.
Theo juchzte triumphierend.
Sein Vater führ sich bedächtig durch Haar und Bart. »Mr
Shakespeare wird es nie wieder wagen, sich über die Howards lustig zu
machen.«
»Nicht in Eurem und
nicht in meinem Leben«, sagte Northampton. Als sein Profil vor dem
Feuer aufleuchtete - schwere Schlupflider über undurchdringlichen
Augen, die Hakennase vom Alter geschärft -, sah er aus wie das in
schwarzen Marmor gehauene Götzenbild eines dämonischen Gottes.
»Nie ist eine sehr lange Zeit.«
ERSTER AKT
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1
29. Juni 2004
Wir alle werden von Geistern
verfolgt. Nicht von Poltergeistern oder weißen Frauen, kopflosen
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