Die Shakespeare-Morde
Identität machen? Möglicherweise
ein Adliger - das Theater wäre ein Fleck auf der Familienweste. Oder
natürlich eine Frau, egal welchen Ranges. Dann gibt es angeblich noch
die geheimen Botschaften in den Stücken - meistens ist von
Freimaurern, Rosenkreuzern oder Jesuiten die Rede. Und die Behauptung, der
Autor der Stücke - für gewöhnlich Francis Bacon - sei der
Sohn der Königin. Wer an so was glaubt, hält die Maskerade für
eine nötige Sicherheitsvorkehrung.
Nur, wie in Gottes Namen hätte
man ein solches Geheimnis wahren können? Angenommen, die Stücke
stammten wirklich von einem anderen. Selbst wenn Ben Jonson die Identität
des wahren Autors nicht kannte, hätte er gewusst, dass der
Schauspieler Shakespeare es nicht war. Was natürlich auch die anderen
Schauspieler der Truppe wussten. Eine Menge Leute, die den Mund hätten
halten müssen - in einer Epoche, in der sich ganz England über
alles und jeden das Maul zerriss.«
»Es würde Jonsons
doppeldeutige Bemerkungen über Shakespeare erklären«,
sagte Ben.
»Aber nicht die
Tatsache, dass Shakespeares Autorschaft nie angefochten wurde, weder zu
seinen Lebzeiten noch in den zweihundert Jahren danach. Aber viel
wichtiger: Auch von den anderen Kandidaten passt keiner wirklich. Die
Anti-Stratfordianer haben ein paar ziemlich gute Argumente, die gegen
Shakespeare aus Stratford sprechen - Argumente, die selbst von den
Universitäten ernst genommen werden. Aber keiner hat es je geschafft,
einen Kandidaten aufzutreiben, dessen Motive, Mittel und Möglichkeiten
überzeugender sind.«
Ich fuhr mir durchs Haar.
Mein frisch geschorener Kopf fühlte sich immer noch seltsam nackt an.
»Delia hat auf Bacon
gesetzt.«
»Eine Bacon für
Bacon«, sagte Ben nachdenklich. »Ist das nicht
Vetternwirtschaft?«
Ich grinste. »Die
beiden sind nicht verwandt. Delia wurde verrückt darüber, Sir
Francis Bacons Autorschaft beweisen zu wollen, doch ich würde meine
Seele an den Teufel verwetten, dass Bacon Shakespeares Stücke nicht
geschrieben hat. Sir Francis Bacon war ein brillanter Mann, Generalfiskal
der Krone unter Jakob I. Die passende Ausbildung und Schreibgewandtheit
hatte er. Außerdem war Bacon einer der größten englischen
Essayisten. Aber sein Stil klingt nicht im Entferntesten nach Shakespeare.
Genauso gut könnte man behaupten, die Werke von Noam Chomsky und
Steven Spielberg wären dem gleichen Kopf entsprungen. Der eine ein
Universalgelehrter mit enzyklopädischem Wissen, der andere ein
fabulierender Abenteurer, der jedes Genre des Erzähltheaters
durchschreitet.«
Die Flugbegleiterin räumte
unsere Tabletts ab, und ich streckte die Beine aus und nahm eine bequemere
Haltung ein.
»Immerhin schaffte es
Delia, Mark Twain zu überzeugen.«
»Den Mark Twain von
Huck Finn und Tom Sawyer?«, fragte Ben.
Die Unterhaltung begann mir
Spaß zu machen. »Er las Delias Buch, als er als Steuermann auf
einem Raddampfer auf dem Mississippi arbeitete. Später, im Alter,
schrieb er eine urkomische Antibiografie des Mannes aus Stratford mit dem
Titel ›Ist Shakespeare tot?‹. Die sollten Sie sich mal im
Internet ansehen.«
»Was ist mit Oxford?
Athenaides Mann?«
»Edward de Vere, der
17. Graf von Oxford. Zurzeit ist er der populärste Gegenkandidat. Zu
seinem Pech war sein erster großer Fürsprecher ein Mann namens
›Looney‹ - ›durchgeknallt‹.«
Ben lachte schnaubend.
»Auch wenn man ihn
eigentlich ›Loney‹ ausspricht, hat er den Oxfordianern mit
seinem Namen keinen Gefallen getan. Doch sein Buch hat neben anderen
immerhin Sigmund Freud überzeugt. Oxford hat tatsächlich ein
paar Eigenschaften, die für ihn sprechen. Wie Athenaide schon gesagt
hat, im ›Hamlet‹ gibt es merkwürdige Parallelen zu
seinem Leben.«
»Athenaide hat gesagt,
Sie hätten das gesagt. Wir wollen den Schwarzen Peter nicht
weiterschieben«, bemerkte Ben mit einem spöttischen Lächeln.
»Ich habe aber auch
gesagt, dass ein paar Parallelen aus einem Stück noch lange keine
Autobiografie machen. Edward de Vere hatte die richtige Ausbildung und
Erfahrung. Man weiß, dass er nebenbei Stücke geschrieben hat,
die jedoch alle verschollen sind. Ein paar seiner Gedichte haben überlebt
- sie sind nicht schlecht und manche von ihnen sogar in Shakespeares ungewöhnlichem
Reimschema verfasst. Am interessantesten sind die Wortspiele auf
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