Die Shakespeare-Morde
de Vere
in Shakespeares Schriften. Oder auf ›Ver‹, wie der Graf
seinen Namen häufig schrieb.«
»Vero nihil verius?«
»Ja, aber es geht auch
auf Englisch. Wortspiele mit ›Vere‹ und ›ever‹
und ›never‹. Meine Lieblingsstelle ist der Titel des
Vorworts zu ›Troilus und Cressidac ›A Never Writer to a
Never Reader.‹ Verschiebt man die Leerzeichen, erhält man:
›An Ever Writer to an Ever Reader.‹ Oder ›An E. Ver
Writer to an E. Ver Readen.«
»Cool.«
»Kontext«, sagte
ich gereizt. »Sie müssen sich den Kontext ansehen. Haben Sie
eine Ahnung, wie oft Shakespeare das Wort ›ever‹ benutzte?
So um die sechshundert Mal. Ich habe es gezählt. Und ›every‹
taucht fünfhundert Mal auf. Dazu ›never‹ noch einmal
tausend. Außerdem alle möglichen Variationen von lateinisch
›verus‹ - ›wahr‹ -, und schon haben Sie über
dreitausend Wörter zum Spielen. Bei dieser Häufigkeit ist es
kein Wunder, wenn er den Wörtchen in ein paar Fällen eine andere
Bedeutung aufzwängte. Wenn er die andere Bedeutung aber tatsächlich
gemeint hätte und auf Spielchen und Geheimnistuerei stand, glauben
Sie nicht, dass er bei dreitausend Verwendungen das Wortspiel öfter
als nur ein-, zweimal gemacht hätte?«
»Trotzdem cool.«
»Wenn Ihnen das gefällt,
dann wird Ihnen das hier noch mehr gefallen: ›Every word doth
almost tell my name‹, aus den Sonetten. Nehmen Sie das ›ver‹
aus ›Every‹ und verrücken Sie es ein Stück nach
rechts: aus ›Every Word‹ wird ›Eyword Ver‹.
Ersetzen Sie das y durch ein d, und schon haben Sie ›Edword Ver‹.«
»Ist das nicht
geschummelt?«
»Könnte man
meinen. Aber da steht ›almost‹. Es heißt, dass
›Every word‹ den Namen nur beinahe verrät. Und ›Eyword
Ver‹ ist beinahe ›Edward Vere‹.«
»Ziemlich clever.«
»Schon. Aber nur, wenn
man den großen Schlusssatz desselben Sonetts ignoriert - die letzten
vier Worte.«
»Die lauten?«
»My name is Will.«
»Sie machen Witze.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Und wie erklären
das die Oxfordianer?«
»Indem sie behaupten,
Will sei einer von Graf Oxfords Spitznamen gewesen.«
»Woher wissen sie das?«
»Hauptsächlich aus
diesem Sonett.«
»Aber das ist ein
Zirkelschluss.«
»Logik, im schwarzen
Loch der Selbsttäuschung. Nicht, dass Oxfords Gegner über alle
Sentimentalitäten erhaben wären. Ich muss zugeben, ein Punkt,
der für mich persönlich gegen Oxford spricht, ist, dass er kein
netter Mensch war: Er war weder ehrenhaft noch zuverlässig, noch
liebenswürdig. Natürlich kann man ein Genie sein und dabei
aufbrausend und sogar grausam. Picasso und Beethoven waren bestimmt keine
Schmusekätzchen. Trotzdem, irgendwie hänge ich an der
Vorstellung, dass der Mann, der sich Julia, Hamlet und König Lear
ausdenken konnte, Herzensbildung hatte.
Der größte Haken
bei Oxford ist jedoch sein Tod. Athenaide kann noch so oft behaupten,
Daten wären wackelig, aber sie liegt falsch. Bei einem einzelnen Stück
kann es vielleicht Vorkommen, dass es um ein, zwei oder fünf Jahre
fehldatiert wird. Aber dass man sich bei Shakespeares Gesamtwerk um zehn
Jahre vertut? Auf keinen Fall.«
»Warum nicht?«
Das Kabinenlicht wurde
heruntergedimmt, und ich kuschelte mich in meine Decke. Dann zog ich die
Brosche aus meinem Kragen und ließ sie an der Kette baumeln. »Wenn
sich in vierhundert Jahren jemand jeden überlieferten Rocksong anhört,
glauben Sie, er könnte sich bei den Beatles um zehn Jahre vertun? Er
könnte den Bogen von ›Love Me Do‹ zu den
psychedelischen Klängen von ›Come Together‹ schlagen
und dann das Ganze in die Fünfziger verlegen - mit nichts als der
achselzuckenden Bemerkung: ›Daten sind wackelig‹? Im Kontext
von Elvis Presley, Buddy Holly, Fats Domino, den Stones, Cream, The Doors
und The Who? Wer sich mit der Materie befasst, kennt den Bruch zwischen
den Fünfzigern und den Sechzigern. Meinen Sie wirklich, man könnte
die Beatles für eine Fünfzigerjahre-Band halten?«
»Sie sagen also, selig
sind die, die nichts wissen?«
Ich lachte laut. »Ich
sage, dass die meisten Anti-Stratfordianer auf der Suche nach einer
vorgefertigten Antwort die Renaissance durchkämmen und wegen eines
eingebildeten Baumes den Wald nicht sehen.«
»Und was glauben Sie?«,
fragte Ben.
Ich lächelte. »Charles
Dickens schrieb einmal etwas in der Art an
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