Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
Vom Netzwerk:
Sitztasche steckte.
    »Sie haben in den
     letzten zehn Minuten dreimal nachgesehen«, bemerkte Ben. »Ich
     bin mir ziemlich sicher, dass er noch da ist.«
    »Vielleicht sind ihm
     Beine gewachsen, und er brennt mit der Notfallbroschüre durch«,
     verteidigte ich mich. »Man kann nie wissen.«
    Kurze Zeit später
     zuckelten die Wagen mit dem Abendessen durch die Gänge und zingelten
     uns ein, und fürs Erste konzentrierten wir uns auf den Kampf mit den
     Plastikverpackungen.
    »Erklären Sie mir
     mal«, sagte Ben, während er in seiner matschigen Lasagne
     herumstocherte, »wie man überhaupt auf die Idee gekommen ist,
     dass Shakespeare seine Stücke nicht selbst geschrieben hat. Ich
     meine, wenn man nicht paranoid ist«, setzte er nach.
    Miß Bacon hatte Recht -
     Recht und nochmals Recht.
    Ich trank einen Schluck Wein.
     »Ich sage es nicht gern, aber es spricht manches dafür. Die Stücke
     müssen von jemandem geschrieben worden sein, dessen Profil nicht zu
     dem Mann passt, den uns die Geschichte liefert. Die Stratfordianer sagen,
     diese Inkongruenz sei eine optische Täuschung - der Lauf der Zeit hätte
     die historischen Quellen verzerrt -, und sie versuchen das Szenario zu
     rekonstruieren, das den Mann aus Stratford mit den Stücken in
     Verbindung bringt. Die Anti-Stratfordianer behaupten, die Inkongruenz sei
     echt - weil es sich um zwei verschiedene Männer
     handelt, die den gleichen Namen benutzten: einen kleinen Schauspieler aus
     Stratford, der seinen Namen hergab oder verkaufte, und einen scheuen
     Schreiberling, der sich dahinter verbarg. Und so versuchen sie wiederum
     ein Szenario zu rekonstruieren, das den Schauspieler und den
     Schriftsteller auseinanderhält.
    Beide Parteien erheben
     Anspruch auf die Wahrheit. Sie nennen ihre Geschichten Biografie und
     beschimpfen ihre Gegner als Dummköpfe, Verrückte und Lügner
     - Sie haben Athenaide reden hören. Dabei werfen sie mit Begriffen wie
     Orthodoxie und Ketzertum um sich, als ginge es um eine Frage der Religion.«
    »Und Sie stehen wie ein
     Gott über dem Geschehen und sehen den Kindern beim Zanken zu?«
    »Wenn ich Gott wäre,
     würde ich die Antwort kennen. Aber die Wahrheit ist, wir wissen
     nicht, wer die Stücke geschrieben hat. Jedenfalls nicht so, wie wir
     wissen, dass Wasser aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom
     besteht oder dass alle Menschen sterben.« Dr. Sandersons Gesicht
     tauchte vor mir auf, und ich musste schlucken. »Der Großteil
     der Quellen zeigt auf den Schauspieler aus Stratford. Aber es gibt Lücken
     in der Geschichte, die so groß sind, dass man sie nicht einfach
     ignorieren kann. Ich glaube nicht, dass die Sachlage ausreicht, um in
     einem Strafprozess dem Schauspieler die Stücke ›ohne vernünftigen
     Zweifel‹ zuzusprechen.«
    Ich griff unter das
     Klapptischchen und wühlte in der Sitztasche.
    »Unser einziger echter
     Zeuge ist Ben Jonson, der den Schauspieler kannte und höchstwahrscheinlich
     die First Folio lektorierte.« Ich zog die Faksimile-Ausgabe der
     First Folio heraus und schlug die Seite mit dem eierköpfigen Porträt
     auf.
    »In der First Folio
     Edition wird der Mann aus Stratford eindeutig identifiziert. Andererseits
     ist alles, was Jonson über den Autor und sein Bild sagt, rätselhaft
     und möglicherweise ironisch. Ist Jonson hier der ehrliche Ben Jonson?
     Oder ist er Ben Jonson, der ironische Spötter? Sehen Sie sich die
     Widmung an, die direkt neben dem seltsamen Porträt steht:
     
    … drum Leser, such’:
    Nicht hier im Antlitz -
     such im Buch!«
     
    »Ein kluger Rat bei
     einem so hässlichen Bild.«
    »Ja, aber man muss
     nicht lange an den Worten drehen, um den Vers zum augenzwinkernden Zeugnis
     zu machen, dass das Bild gar nicht den ›echten‹ Shakespeare
     zeigt. Und noch etwas: Ben Jonsons gesammelte Werke waren 1616 mit Pauken
     und Trompeten erschienen - an die dreißig prominente Dichter und
     Literaten hatten Sonette mit sich überschlagenden Lobpreisungen
     beigetragen. Aber als Shakespeares First Folio Edition herauskam, haben
     sie alle höflich geschwiegen. Ben Jonson war der Einzige unter den
     hehren Literaten, der sich zur Folio äußern wollte. Der Rest
     der Beitragenden - es waren nur drei - waren, wenn überhaupt,
     drittklassig.«
    »Aber wenn Shakespeare
     nicht Shakespeare ist, wer ist er dann?«
    Hilflos hob ich die Hände.
     »Da liegt der Hase im Pfeffer. Zuallererst, wer müsste überhaupt
     ein solches Geheimnis um seine

Weitere Kostenlose Bücher