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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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seine
     eigenen Motive untergeschoben?
    »Jemand versucht zu
     verhindern, dass das Stück gefunden wird, Athenaide. Was hätte
     Sir Henry davon?«
    »Er will es nicht
     verhindern«, sagte sie. »Er will es haben. Sir Henry will das
     Stück mit giftiger Gier. Wahrscheinlich hat er zuerst von Ros davon
     gehört, und seitdem ist er besessen von dem Gedanken, die Rolle des
     Don Quixote selbst zu spielen. Gäbe es einen herrlicheren
     Schwanengesang zum Ende einer Bühnenkarriere, als Shakespeare und
     Cervantes in einem zu verkörpern? Er will das Stück, und als Ros
     ihm nicht versprechen wollte, mit ihm zu teilen, hat er sie umgebracht.«
    »Verlogene Hexe«,
     zischte Sir Henry.
    Athenaide achtete nicht auf
     ihn, sondern konzentrierte sich ganz auf mich. »Aber bei Ihnen
     brauchte er Hilfe. Also hat er jemanden angeheuert. Wie Ben Ihnen sagte,
     er steht im Sold. Nur eben nicht in Ros’, sondern in Sir Henrys
     Sold.«
    »Er ist Ros’
     Neffe, Athenaide.«
    Eine kurze Pause entstand.
    »Faszinierend«,
     sagte Matthew. »Vor allem, da Ros ein Einzelkind ist.«
    Ich sah Ben an in der
     Hoffnung, dass er widersprach.
    Seine Kiefer zuckten. »Du
     musst mir vertrauen.«
    »Benjamin Pearl«,
     sagte Athenaide, »ist ein Auftragskiller, Katharine. Ein Soldat, könnte
     man sagen, wenn er die Ehre verdient hätte. Wenigstens ist er als
     solcher ausgezeichnet worden. Er ist Träger des Victoria-Kreuzes -
     keine Medaille, die die Queen jeden Tag verteilt.
    Wegen seines heldenhaften
     Einsatzes in Sierra Leone, wo achtzig Zivilisten gerettet wurden, aber zwölf
     Spezialagenten des britischen SAS ums Leben kamen. Seitdem ist allerdings
     die Frage aufgekommen, ob Pearl nicht mehr für die Toten als für
     die Lebenden verantwortlich zeichnet. Ein kleines Vermögen in
     Diamanten war auch im Spiel. Nicht wahr, Mr Pearl?«
    Sir Henrys Gesicht war zu
     einer wutverzerrten Maske verzogen, doch Bens Blick war leer, starr wie
     der eines Reptils. Alles, was ich über ihn wusste, wirbelte
     durcheinander und ordnete sich neu. Zusammen hatten sie Ros, Maxine, Dr.
     Sanderson und eine nette, unbeteiligte Frau in Wilton House ermordet,
     deren einziges »Verbrechen« darin bestanden hatte, ihnen die Tür
     zu öffnen. Und sie hatten mich benutzt wie Jäger Spürhunde,
     um ihre Beute aufzustöbern.   
    Ich sah es kommen, den
     Bruchteil einer Sekunde bevor es losging. Mit einem Knurren stürzte
     sich Sir Henry auf Athenaide. Im gleichen Moment warf Ben den Meißel
     nach Matthew und schlug ihm die Pistole aus der Hand. Dann ging er auf
     mich los, kalte Wut in seinen Augen.
    Athenaides Taschenlampe fiel
     zu Boden und erlosch. Finsternis hüllte uns ein, und ich schaffte es,
     mich aus Bens Griff zu winden.
    »Lauf, Kate«,
     rief Matthew, und ich schleuderte meinen Meißel hinter mich in die
     Dunkelheit, auf Kniehöhe in Bens Richtung. Ächzend ging er zu
     Boden. Ich glitt im Dunkeln an ihm vorbei und lief zurück in das
     Kirchenschiff.
    Hinter mir hörte ich ein
     Handgemenge, und dann das helle Pfeifen von zwei gedämpften Schüssen.
    Dann war alles still.
    Wen hatten die Kugeln
     getroffen?
    »Kate!« Es war
     Bens Stimme, die durch die dunkle Kirche hallte.       
    Ich drückte mich ins
     Chorgestühl.
    »Finden Sie sie«,
     befahl er mit abgehackter Stimme.
    Waren Athenaide und Matthew
     beide tot? Tief in mir erhob sich ein Heulen, doch ich drückte die
     Hand auf den Mund.
    »Die einzige Tür,
     die sich öffnen lässt, ist die, durch die wir gekommen sind«,
     keuchte Sir Henry.
    Wenn sie das Portal vor mir
     erreichten, saß ich in der Falle.
    Auf Zehenspitzen schlich ich
     durch die Vierung, als ich neben mir eine Bewegung wahrnahm. Ben und Sir
     Henry waren hinter mir; von ihnen konnte es keiner sein. Matthew oder
     Athenaide? Geräuschlos bewegte ich mich zur Wand.
    Athenaide stand hinter einem
     geschnitzten Holzschirm, der die Kapelle auf der Südseite der Vierung
     abtrennte. Ich zwängte mich zu ihr, und sie drückte meine Hand,
     als wir uns hinter dem Wandschirm zusammenkauerten. Wenn Ben und Sir Henry
     uns fanden, waren wir verloren. Wenn nicht, hatten wir den Hauch einer
     Chance, in unserem Versteck bis zum nächsten Morgen zu überdauern,
     bis die ersten Besucher kämen.
    Tief geduckt lauschten wir in
     die Dunkelheit. Wo war Matthew? War er tot, oder verblutete er gerade?
     Verstohlene Schritte betraten die Vierung, dann schlichen sie an der
     Kapelle vorbei ins

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