Die Shakespeare-Morde
Augenblick, auf den sie gewartet hatte, endlich
gekommen.
Früher am Abend hatte
Heinrich, der Fürst von Wales, seine königlichen Eltern und den
gesamten Hof zum Festmahl geladen, in einem Pavillon aus grünen
Zweigen, der eigens für diesen Anlass auf einem Hügel im Park
von Woodstock Palace errichtet worden war. Als die Sterne durch das Blätterdach
funkelten, wurden die Tische abgetragen, König und Königin zogen
sich zurück, und die jüngeren Höflinge begannen auf dem
Rasen mit dem Tanz.
Eine Reihe von Damen wiegte
sich im Takt, und ihre Halskrausen wippten wie hauchdünne Flügel,
als sie um den Fürsten herumtanzten. In ihrer Mitte fiel ein
Handschuh zu Boden. Er war ein Kleinod von unglaublicher Schönheit,
elfenbeinblasses Glaceleder mit Spitze gesäumt, die Finger unerhört
lang und schmal, die breiten Stulpen mit Goldfäden, Perlen und
Rubinen bestickt.
Die dunkelhaarige Frau stand
im Schatten der Bäume und beobachtete gespannt das Geschehen. Wie sie
angeordnet hatte, war ein junger Mann herbeigeeilt - ein von ihr ausgewählter
Neuankömmling, der sich beweisen wollte -, um den Preis aufzuheben.
Sie sah, wie er das Monogramm erkannte, ein filigranes, mit Juwelen
besticktes H, und seine Hand erstarrte auf halbem Weg. Einen Moment lang fürchtete
sie, der Mut würde ihn verlassen. Schließlich gehörte der
Handschuh Frances Howard, der Gräfin von Essex, und niemand legte
sich leichtfertig mit den Howards an.
Im Hinblick auf diese
Gelegenheit hatte sie dafür gesorgt, dass selbst diesem jungen
Edelmann, der neu am Hof war, die Gerüchte um den Fürsten und
die kecke flachsblonde Gräfin zu Ohren gekommen waren. Und heute
hatte er selbst mit ansehen können, wie gierig die Augen des Fürsten
an Frances klebten.
Des Edelmanns Mut hielt vor.
Er hob den Handschuh auf, doch er gab ihn nicht der Dame zurück.
Stattdessen bot er ihn, den Federhut in der Hand und die Augen fest auf
den Boden gerichtet, dem Fürsten dar.
Um sie herum stockte die
Musik. Die Unterhaltungen brachen ab, und Stille breitete sich aus.
Entgegen dem harten Drill der Etikette blickte der Höfling auf. Der Fürst
starrte zu ihm hinunter, als hätte er ihm den Mist vom Boden eines
Viehstalls angeboten. Dann wandte er sich ab und richtete den königlichen
Blick auf die Gräfin. Sie sank in einen kleinen Knicks, auf ihren
Wangen glühten zwei rote Flecken. »Den fasse ich nicht an«,
sagte der Fürst mit kühler Abscheu. »Den hat ein anderer
ausgeleiert.« Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und
schritt von dannen, während seine Freunde eilig hinterherliefen.
»Was habt Ihr getan?«,
stöhnte der Höfling.
»Euch gut bezahlt«,
antwortete die Frau und schlüpfte im Schutz des fürstlichen
Gefolges davon.
Es war die perfekte Rache
gewesen. Ihre kleine Tochter war vom Großonkel und vom Vater der Gräfin
ihres Namens beraubt worden. Im Gegenzug sorgte sie dafür, dass der
Name der Howards durch den Schmutz gezogen wurde.
Am Ende war es leichter
gewesen, als sie erwartet hatte. Sie musste nur die Wahrheit verbreiten. Für
den Rest hatte Frances Howard Gräfin von Essex selbst gesorgt.
Verheiratet mit einem Grafen, den sie verabscheute, drängte sie auf
Annullierung der Ehe, und wurde seitdem von ihrer Familie dem Fürsten
zum Spielen präsentiert. Ein ungeheuerliches Angebot, denn ihr
verhasster Ehemann war lange Zeit einer der besten Freunde des Fürsten
gewesen. Doch Frances’ Erfolg war Zeugnis ihrer reinen Schönheit
und ihres bezwingenden Charmes. Allmählich trennten sich Essex’
und des Fürsten Wege. Während andere mit Unbehagen die heißer
werdende Vorliebe des Fürsten
beobachteten, hatte die dunkelhaarige Dame Frances beobachtet. Und was sie
sah, stellte sich als nützlich heraus.
Nach außen tat das Mädchen
seine Pflicht. Doch im Verborgenen flirtete sie mit einem Dritten - mit
jenem Mann, den der sittenstrenge Fürst von allen am meisten hasste:
seines Vaters schöner junger Liebhaber Robert Carr.
Langsam, unaufhaltsam hatte
die Frau eine Spur von Beweisen ausgelegt, die schließlich des Fürsten
Verdacht erregten. Eben an diesem Morgen hatte sie bewerkstelligt, dass Fürst
Heinrich nach seinem täglichen Ausritt an einem Ort vorbeikam, wo er
selbst mit ansehen konnte, wie Carr aus den Gemächern der Gräfin
schlüpfte.
Den ganzen Tag war er übler
Laune
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