Die Shakespeare-Morde
an ihn heran, legte ihm
den Arm um den Hals und zog ihn hinter einen Grabstein.
Mit vor Schreck geweiteten
Augen versuchte sich der Polizist aus Bens Würgegriff zu befreien,
doch Ben beugte sich vor, zog den Griff enger, und der Mann sackte
zusammen.
Dann legte er ihn auf den
Boden und blickte zur Kirche. Vor dem Portal hatte sich der Küster
umgedreht. Ein großer Schlüsselbund hing klimpernd in seiner
Hand. Einen Moment lang stand er schweigend da und spitzte die Ohren. Dann
schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder dem Schloss zu.
»Fesselt ihn«, flüsterte
Ben. Ohne einen weiteren Blick auf ihn zu werfen, stand er auf und schlich
im Schatten auf die Kirche zu.
Der Küster schloss das
Portal auf und betrat die Kirche. Lautlos folgte ihm Ben. Mehr sahen wir
nicht. Sir Henry war blass, als er ein Seil aus der Sporttasche nahm und
es mir reichte. Ich beugte mich über den Polizisten. Er sah aus wie
tot. In was war ich bloß hineingeraten?
Nach ein paar Minuten kam Ben
zurück. Wir schleppten den Polizisten in die Kirche, und Ben zog die
Tür hinter uns zu, deren dumpfes Dröhnen sich anhörte wie
der Donner eines heraufziehenden Gewitters. Er knipste eine kleine
Taschenlampe an. Der Küster lag bewusstlos auf dem Steinboden. Als
ich sah, wie professionell er gefesselt und geknebelt war, lief mir ein
Schauer über den Rücken. Sein Schlüsselbund lag neben ihm.
An der Wand darüber leuchtete ein kleines grünes Licht; der Küster
hatte den Alarm ausgeschaltet, bevor Ben ihn ausschaltete.
Während ich nach dem
richtigen Schlüssel suchte, zog Ben die Fesseln des Polizisten enger,
die ich geknüpft hatte, und knebelte auch ihn. »Jetzt bist du
dran«, sagte er und reichte mir die Taschenlampe. Ich wandte mich
von den bewusstlosen Männern ab, die rechts und links neben der Tür
lagen, und betrat das Kirchenschiff. Ben und Sir Henry folgten mir.
Außerhalb des Scheins
der Taschenlampe war es stockfinster. Der Dachstuhl und der Altarraum am
anderen Ende der Kirche waren unsichtbar. Es roch nach kaltem Stein und
Tod. Der Grundriss bildete ein Kreuz, wie in den meisten Kirchen. Wir
passierten die Vierung, über der sich der Kirchturm erhob, und die
Seitenkapellen, dann erreichten wir den Altarraum. Das Chorgestühl
rechts und links schien im Schatten zu lauern.
Ben hielt die Taschenlampe
nach oben. Ihr Strahl brach sich im Buntglas des östlichen Fensters.
Darunter schimmerte der goldene Altar wie eine verschwommene Vision von
Salomos Tempel. Doch es war nicht der Altar, auf den wir es abgesehen
hatten. Ich lenkte Bens Arm nach links.
Über uns an der Nordwand
schwebte Shakespeares Ebenbild wie der Geist über einer Séance;
er hielt die Feder eher wie ein Buchhalter als ein Poet in der steinernen
Hand, und die glatte Kuppel über seiner Tonsur verriet mehr über
sein Alter als über seine Frömmigkeit. Beinahe vier Jahrhunderte
hatte dieser Blick seine Geheimnisse wohl behütet. Das Grab befand
sich am Boden darunter, eine rechteckige Steinplatte an dem
juwelenbesetzten Geländer, das das Volk vom Altarraum fernhielt.
Wir kletterten über das
Altargeländer und versammelten uns um den Stein. Er trug eine
Inschrift. Sir Henry las laut vor, und seine Stimme hallte unter dem Gewölbe.
UM JESU WILLEN, GUTER
FREUND, LASS AB,
HOL NICHT DEN EINGESCHLOSS’NEN
STAUB AUS
DIESEM GRAB.
GESEGNET SEI DER MANN, DER
SCHONET DIESE STEINE,
UND JENER SEI VERFLUCHT,
DER RÜHRT AN
MEIN’ GEBEINE.
Die Verse konnten ›Romeo
und Julia‹ oder ›Hamlet‹ nicht das Wasser reichen,
doch hatten sie eine gewisse Kraft, wie sie Kinderreimen oder Zaubersprüchen
eigen ist. Ein Segen, der in alle Ewigkeit an einen Fluch gebunden war.
Gab es den Fluch wirklich?
Ophelia hatte daran geglaubt. Was hatte sie gesagt? Wir sündigten
gegen Gott und die Menschen. In der dunklen Kirche lief mir ein Schauer
über den Rücken.
Wir zogen unsere Regenmäntel
aus und legten sie um den Grabstein auf den Boden. Ben öffnete die
Sporttasche und verteilte Meißel und Brechstange, dann gingen wir
schweigend ans Werk. Wir mussten die flache Steinplatte lösen und
anheben, ohne dass sie brach.
Eine Weile war nichts als das
dumpfe Klopfen von Metall auf Stein zu hören, begleitet von unserem
leisen, angestrengten Atmen. Ich setzte mich auf die Hacken zurück,
um meine Hände auszuruhen.
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