Die Shakespeare-Morde
gewesen. Jetzt, draußen im Pavillon, belauschte sie, wie die
Freunde des Fürsten ihn zu überreden versuchten, keine
Dummheiten zu machen. Der Graf von Essex, Frances’ gehörnter
Ehemann und Jugendfreund des Fürsten, trat ins Fackellicht und führte
ein Pferd mit klingelndem Zaumzeug herbei. »Seid so wütend Ihr
wollt. Aber gebt nicht Frances allein die Schuld. Sie stammt aus einer
Familie von Schlangen. Wahrscheinlich hat sie nur getan, was man ihr
auftrug.«
Der Fürst stieg auf.
»Wenn ich König bin«, sagte er wütend, »sorge
ich dafür, dass keiner von ihnen miterlebt, wie er noch mal gegen
eine Mauer pisst.« Dann gab er dem Pferd die Sporen und galoppierte
davon. Eilig folgten ihm die anderen.
Die Frau wartete, bis die
Nacht leer geworden war, bevor sie aus dem Schatten trat. Doch kaum stand
sie im Freien, hörte sie ein Knacken hinter sich. Sie wirbelte herum.
Ein zweiter Lauscher war aus dem Schatten ins Fackellicht getreten. Ein
weißhaariger Mann mit kurzem weißen Bart und kalten, glänzenden
Augen. Der Graf von Northampton, das Oberhaupt des Howard-Clans.
Sie erstarrte. Er hatte sich
mit dem König und der Königin zurückgezogen; darauf hatte
sie geachtet. Wie konnte es sein, dass er wieder hier war?
»Mylady«, sagte
er und führte sie zitternd zurück zur Tanzfläche. »Haben
Sie sich vielleicht verirrt?«
Was hatte sie getan?
*
Den Fürsten öffentlich
anzugreifen wäre Selbstmord gewesen. Doch die Howards konnten die
befleckte Ehre ihrer Tochter nicht ungesühnt lassen. Die Rache, die
sie planten, war exquisit. Sie würden London mit Geschichten und
Liedern einer Frau überfluten, die ihrem Mann die Treue hielt, während
sie von einem Fürsten verleumdet und ruiniert wurde, der einst der
Freund ihres Mannes gewesen war. Sie würden keine Namen nennen, aber
der Bezug wäre eindeutig. Der zentrale Streich wäre ein Stück
aus der Feder von Londons bestem Theaterschreiber: Mr William Shakespeare.
Shakespeare lehnte bedauernd
ab, indem er sagte, er nehme keine persönlichen Aufträge an.
Die Familie war voller Verständnis,
doch unter den Umständen waren sie sicher, dass er eine Ausnahme
machen würde.
Nachdem er sich die Umstände
angesehen hatte, stimmte er zu. Dafür sorgten sie; als Oberkammerherr
war der Graf von Suffolk in der Position, nachhaltige Drohungen bezüglich
des Theaters zu machen. Aber schließlich war es das Zuckerbrot,
nicht die Peitsche, das Shakespeare für sie gewann.
»›Quixote‹?«,
fragte Theophilus Graf Howard de Waiden ungläubig. »Was sollte
für Shakespeare an Cervantes so verlockend sein?« Die englische
Übersetzung des Buchs, die eben fertiggestellt worden war, war Theo
gewidmet, und da Cervantes in ganz London Stadtgespräch war, zeigte
er ein gewisses besitzergreifendes Interesse an dessen Werk.
»Nicht Cervantes ist
der Köder«, gab sein Großonkel zurück, und sein Ton
ließ keinen Zweifel an seiner Verachtung für Theos Mangel an
Feinsinn.
»Wer dann?«,
fragte Theo.
»Der Übersetzer«,
sagte sein Vater, der Graf von Suffolk, knapp.
Am gleichen Abend zwang Theo
einen nachhaltig eingeschüchterten Thomas Shelton zu einem Geständnis.
Thomas hatte die Übersetzung nicht selbst verfasst, auch wenn von ihm
die schmeichelhafte Widmung an Theo stammte. Die Übersetzung war das
Werk seines Bruders William, unter dessen Namen sie nie hätte veröffentlicht
werden können. William war Persona non grata - ein Jesuit, der in
Spanien lebte, wie Theos Großonkel nur zu gut wusste.
»Woher weiß er
das?«, fragte Theo.
»Der Graf von
Northampton hat ihn hingeschickt«, stotterte Shelton.
Wie gewöhnlich hatte
Theos Großonkel recht behalten. In einem Haus im Londoner
Blackfriars-Viertel vergrub sich Mr Shakespeare in Cervantes’
Meisterwerk.
Wenig später erfuhr
Northampton von der verbotenen Liebschaft seiner Großnichte mit
Robert Carr. »Keine Liebschaft«, schleuderte die tränenüberströmte
Frances ihrem Großonkel und ihrem Vater entgegen. »Eine große
Leidenschaft.«
Doch die Rechtfertigung
beeindruckte weder Northampton noch Suffolk. Eine Verbindung mit dem Günstling
des Königs bot weder das Prestige noch die Sicherheit, die eine
Verbindung mit dem Sohn des Königs versprach. Andererseits, als
Quelle der Macht und des Reichtums war sie nicht völlig zu verachten.
Dem König war es recht,
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