Die Shakespeare-Morde
Hauptschiff.
Athenaide stand auf und zog
mich mit. Sie packte mich fest am Ellbogen und lotste mich in die Vierung
und zurück in den Altarraum. Sie schien den Weg zu kennen. Vielleicht
wusste sie beim Altar ein besseres Versteck. Darunter womöglich. In
manchen Kirchen gab es verborgene Kammern - eine Falltür zur Krypta
vielleicht.
Am Ende des Hauptschiffs
wurde eine Taschenlampe angeknipst. Schnelle Schritte kamen auf den
Chorraum zu. Wir beeilten uns, doch anstatt zum Altar zog mich Athenaide
zur Südwand der Kirche. Direkt hinter dem Chorgestühl war eine
kleine Pforte, die einst zum Beinhaus geführt hatte, der kleinen
Kapelle, wo Knochen und Schädel der Toten aufbewahrt wurden. Aber das
Beinhaus war längst abgerissen und der Eingang versiegelt. Wir saßen
vor der verschlossenen Tür fest. Ich wollte zurückweichen, doch
Athenaides Griff wurde fester.
Die Schritte erreichten die
Vierung. Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt in den Altarraum, vier, fünf
Meter von uns entfernt. Es war zu spät, um uns hinter dem Altar zu
verstecken. Wir drückten uns gegen die Wand, und dann öffnete
sich die Tür lautlos in gut geölten Angeln.
Wir standen draußen in
der Nacht.
Matthew. Ich drehte mich um.
Doch Athenaide schloss die Tür
hinter uns und zog mich hinaus zwischen die Grabsteine. Wir rannten im
Zickzackkurs durch die Gräber und den wabernden Nebel, dann hatten
wir den Kirchhof hinter uns gelassen. Ich blieb abrupt stehen, als der
Boden vor uns abfiel. Wir standen an der Böschung. Doch Athenaide war
nicht stehen geblieben, sondern kletterte zum Fluss hinunter.
Hinter uns flog das Portal
der Kirche auf, und ein Lichtkegel zuckte durch die Nacht.
»Kate!«, schrie
Ben.
Ich hastete hinter Athenaide
her. Unter uns schaukelte ein Boot im Wasser, halb verborgen unter dem
Schilf. Wir stiegen ein und legten uns flach hin.
Matthew. Ich versuchte mir
nicht vorzustellen, wie er am Kirchenboden verblutete. Er war nur
meinetwegen in England, um mir zu helfen, und jetzt lag er meinetwegen im
Sterben oder war schon tot. Wieder erhob sich das Heulen in mir, und ich
musste es unterdrücken.
Wir lauschten, als Ben über
unseren Köpfen fluchend zwischen den Gräbern herumstapfte, auf
der Suche nach uns. Allmählich arbeitete er sich zur anderen Seite
der Kirche vor. Trotzdem machte Athenaide keine Anstalten abzulegen.
Dann näherten sich leise
Schritte und blieben am Rand des Schilfs stehen. Wir waren mucksmäuschenstill,
und Athenaide hob die Pistole und zielte auf die Böschung.
»Vero«, flüsterte
eine Stimme.
»Nihil verius«,
antwortete Athenaide.
Im Schilf raschelte und
quietschte es, einen Moment später stieg Matthew zu uns ins Boot.
Endlich machte Athenaide die Leine los. Matthew drückte mir die
Schulter, dann griff er nach den Riemen und begann, flussaufwärts zu
rudern.
Er hielt das Boot dicht am
Ufer, wo es unter den überhängenden Bäumen fast unsichtbar
war. Das leise Klatschen der Ruder ging im sanften Prasseln des Regens
unter. Dann lag der Park hinter uns, und wir kamen an den Steg der Seilfähre.
Hastig machte Matthew das Boot fest, und wir verschwanden zwischen den Bäumen.
Vor uns bog ein Wagen in die
Straße. Als er näher kam, öffnete sich die Tür. Ohne
zu warten, dass er anhielt, duckte sich Athenaide auf den Rücksitz,
und ich folgte ihr. Matthew stieg als Letzter ein.
»Coventry«, sagte
Athenaide, und der Fahrer nickte.
Ich sah mich um. Keine
Schritte rannten hinter uns her. Kein Wagen folgte uns. Nichts regte sich
in den stillen Gassen.
»Das Grab«, flüsterte
ich. »Deswegen folgen sie uns nicht.«
»Wahrscheinlich.«
Athenaide nahm eine Thermoskanne mit Kaffee aus einem Fach in der Wagentür.
»Aber sie werden es
öffnen«, protestierte ich und versuchte über Athenaide
nach der Wagentür zu greifen.
Athenaide legte die Fland auf
mein Knie. »Lassen Sie sie.«
»Sie verstehen nicht«,
sagte ich. »Sie werden finden, was Ophelia dort hinterlegt hat. Und
wenn es nicht das ist, was sie sehen wollen, zerstören sie es.«
»Nein, das werden sie
nicht«, erwiderte Athenaide und tastete vor ihren Füßen
herum. Lächelnd holte sie ein mit reichen Intarsien verziertes
Rosenholzkästchen hervor und legte es mir auf den Schoß.
»Wir waren vor ihnen da.«
ZWISCHENSPIEL
August 1612
Sechs lange Jahre hatte sie
ausgeharrt. Nun war der
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