Die Shakespeare-Morde
ein bisschen Schmalzfleisch noch keinem geschadet.«
»Sie waren in der
Armee?«
»Nicht direkt.«
Ich wartete auf eine Erklärung,
doch er schwieg. »Dann bin ich dafür, dass wir uns die Eier und
die Pfannkuchen teilen.«
»Bewundernswert
diplomatisch.« Er schob mir eins der Eier auf den Teller. »Ihr
Gepäck ist auch schon da.«
Tatsächlich, an der Tür
stand der kleine schwarze Rollkoffer, den Sir Henry mir von Mrs Barnes
hatte packen lassen. »Sie sagten doch, wir könnten nicht ins
Inn zurück.«
»Sie nicht. Es war
keine Rede davon, dass nicht jemand anderes unbehelligt rein- und wieder
rauskäme.«
»Sie haben mein Gepäck
gestohlen?«, fragte ich mit der Gabel voll Ei auf halbem Weg zum
Mund.
»Sagen wir, ich habe
einen Gefallen eingefordert. Wenn Sie etwas dagegen haben, können wir
Ihren Koffer jederzeit zurückschicken.«
»Nein«,
antwortete ich schnell mit vollem Mund. »Wenn es um saubere
Klamotten geht, heiligt der Zweck die Mittel.«
»Wo wir gerade von
kriminellen Handlungen sprechen, wir haben es in die Morgennachrichten
geschafft. Nicht nur Lokalfernsehen. Sogar die großen Jungs
berichteten: CNN, die Today-Show, Good Morning America.«
»Gibt es was Neues?«
»Die wissen weniger als
wir - nur das, was jeder Blinde im Großraum Boston mitbekommt.«
Er sah mich forschend an. »Sind Sie sicher, dass Sie weitermachen
wollen? Die Sache ist heiß, und es wird immer heißer.«
»Gefährlich,
meinen Sie.«
»›Heiß‹
klingt cooler.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Aber Sie wissen, was ich meine.« Er schob seinen Teller zur
Seite. »Kate, es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand den Brand
in Harvard mit dem Brand im Globe in Verbindung bringt. Und wenn es so
weit ist, dann ist Ihnen jeder Sender auf den Fersen, von der Polizei
zweier Kontinente ganz zu schweigen.«
Ich nahm meine Kaffeetasse
und ging ans Fenster. Ich wusste, was ich wollte, ob man mir auf den
Fersen war oder nicht. Die interessantere Frage, auf die ich nur vage
Antworten hatte, war: Warum?
Rache, hatte der alte König
in meinem Traum gesagt. Aber Rache für wen?
Für Ros, natürlich.
Ros war der König; das wusste ich, so wie man in Träumen Dinge
weiß - dass ein vollkommen Fremder die eigene Mutter ist oder der
Geliebte oder das Haustier aus der Kindheit, mit der unerschütterlichen
Gewissheit eines Heiligen oder Fanatikers. Aber im Traum war es meine
Kehle, die aufgeschlitzt worden war. Und in der Bibliothek hatte mir der Mörder
eine überaus echte Klinge an den Hals gehalten.
Ich machte mir keine
Illusionen, den Mörder aufzuspüren und ihm persönlich
Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Oder ihn auch nur der Polizei zu
übergeben. Trotzdem würde ich mich an ihm rächen.
Er mordete und legte Brände,
um zu verhindern, dass Ros’ Entdeckung ans Tageslicht käme. Ich
musste einfach für das Gegenteil sorgen.
Aber Rache war nicht mein
einziger Antrieb. Ich trank einen Schluck Kaffee und sah einer Möwe
nach, die über dem Fluss ihre Kreise zog. Die goldene Schachtel, die
Ros mir gegeben hatte, war so etwas wie eine Pandora-Büchse. Ich
wollte Ros rächen, so viel war klar. Doch was mich selbst anging, so
wollte ich etwas Simpleres, Egoistischeres. Ich wollte das Geheimnis lüften.
Ich wollte wissen, was Ros entdeckt hatte.
Ben hatte sie etwas von
Wahrheit und Schönheit erzählt. Mir hatte sie gesagt: Wenn du
die Schachtel öffnest, musst du dem Weg folgen, den sie dir weist.
Ich trank meinen Kaffee aus, dann drehte ich mich um. »Ich habe ein
Versprechen gegeben. Sie müssen nicht mitkommen.«
»Doch, das muss ich.«
Er lächelte. »Ich habe auch ein Versprechen gegeben.«
Wir wechselten uns mit dem
Duschen ab. Ich musste zugeben, es tat gut, Mrs Barnes’ saubere
Kleider anzuziehen. Auch wenn sie - zweifellos auf Sir Henrys Anweisung -
den Koffer mit lauter Dingen gefüllt hatte, die ich mir selbst nie
gekauft hätte. Ich entschied mich für eine beige Caprihose und
eine tief ausgeschnittene ärmellose Bluse mit Leopardenmuster. Während
ich auf Ben wartete, steckte ich die Brosche am Revers meines neuen
leichten Blazers fest.
In einem olivgrünen
T-Shirt und Khakihosen kam Ben aus dem Schlafzimmer.
»Fertig?«, fragte
ich und verstaute das Buch und einige Papiere in meiner Tasche.
Er legte sich ein
Schulterhalfter an, schob die Pistole
Weitere Kostenlose Bücher