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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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wie man so sagt, »ganz Ohr«.
    Aber vielleicht sind Sie
     kein Spieler.
    Als Pfand meiner
     Dankbarkeit für die Zeit, die Sie sich bereits genommen haben, lege
     ich Ihnen eine Ballade bei. Die neuweltliche Interpretation einer alten
     schottischen Weise, wie ich vermute. Es war ein verteufeltes Stück
     Arbeit, hier oben in den Lagern die gängigen Lieder durchzugehen auf
     der Suche nach einem Einzigen, das nicht Papier und Tinte erröthen
     lassen würde, aber ich hoffe, Ihnen dieses ohne derartige Scham
     überstellen zu dürfen.
    Ich habe die Ehre, etc.,
     ergebenst Ihr Jeremy Granville
     
    Die Grüße und die
     Unterschrift waren in eine Zeile an den unteren Rand gequetscht, sodass
     sie auf den ersten Blick wirkten wie eine Zeile mitten im Fließtext.
     Ich blätterte weiter.
    »-beeren«,
     schrieb Elisabeth. »Während ich mich, wie Du Dir vorstellen
     kannst, wegen der Bären fürchtete!!!«
    Kein Wunder, dass Professor
     Child darauf verfallen war, Balladen zu sammeln. Ich blätterte wieder
     zurück zu Granvilles Brief. War es das, was Ros entdeckt hatte?
    Es musste so sein. 
    Hastig blätterte ich
     durch die letzten Papiere der Kiste, aber ich konnte weiter nichts Ungewöhnliches
     finden. Außerdem fehlte die erste Seite von Jeremy Granvilles Brief.
     Ich überprüfte die Katalogliste und stellte fest, dass seine
     Existenz überhaupt nicht erwähnt war. Es schien, als wäre
     das einzelne Blatt versehentlich zwischen die Seiten von Elisabeths Brief
     geraten, womöglich schon auf Professor Childs Schreibtisch. Und der
     Bibliothekar, der das Material später katalogisierte, hatte den
     Fehler nicht bemerkt.
    Die einsame Seite trug weder
     Datum noch eine spezifische Ortsbeschreibung - keine Information bis auf
     die Unterschrift und den Fundort zwischen Childs Papieren, mit deren Hilfe
     sie sich historisch einordnen ließ. Außer der Erwähnung
     einer »antiken« Ausgabe von ›Don Quixote‹.
     Siedend heiß fiel mir ein, dass ich in Ros’ Regalen eine ganze
     Abteilung zu ›Don Quixote‹ gesehen hatte. Aber was hieß
     das schon? Das Buch gehörte zur Weltliteratur wie die ›Ilias‹
     oder ›Krieg und Frieden‹ - Ros’ Interesse daran war
     eine intellektuelle Vorliebe, die alles andere als originell war.
    Trotzdem konnte der Bezug
     hilfreich sein, um Granvilles Fund zu datieren. Die spanische
     Originalausgabe von ›Don Quixote‹ war zu Beginn des 17.
     Jahrhunderts erschienen, etwa zu der Zeit, als Königin Elisabeth I.
     starb. Nur knapp zehn Jahre später entstand die erste englische
     Übersetzung. Granvilles »antike Ausgabe des Don Quixote«
     konnte also frühestens aus dieser Zeit stammen. Gleichzeitig konnte
     der Brief nicht aus einer Zeit nach Professor Childs Tod - gegen Ende des
     19. Jahrhunderts - datieren. Ich stöhnte innerlich. Das war keine große
     Hilfe: Zwischen beiden Daten lag eine Spanne von fast dreihundert Jahren.
    Mein Blick fiel auf den
     Chambers-Band, der schweigend vor mir auf dem Tisch lag. Zumindest der
     Anfang jener Zeit wurde von Chambers abgedeckt, der über viel mehr
     schrieb als nur über Dramen. Ich griff nach dem Buch, schlug die
     letzte Seite auf und seufzte. Das Register aller vier Chambers-Bände
     fand sich im letzten Band - den ich bei Ros im Regal stehen gelassen
     hatte. Dann blätterte ich zurück zu der Seite, die Ros markiert
     hatte, und begann erneut zu lesen.
    Plötzlich schien das
     Licht im ganzen Saal heller zu werden, als mir dämmerte, was
     Granvilles Worte zu bedeuten hatten. Ich nahm mir noch einmal den Brief
     vor. Vielleicht hatte ich es nur geträumt. Nein, dort stand es,
     schwarz auf weiß.
    Ich griff nach meinem Block
     und begann hastig den Wortlaut des Briefs abzuschreiben. Meine Hand flog
     über das Papier. Der Mann mit dem Hundeblick sah wehmütig zu mir
     herüber, neidisch, dass ich etwas entdeckte hatte, das sich
     abzuschreiben lohnte. Auch wenn Ben sich kaum bewegte, brannte sein Blick
     auf meiner Haut. »… eine Art durchgestrichene Spirale. Ich hätte
     es für Griechisch gehalten …«, schrieb ich und fügte
     die Bemerkung hinzu: »Nicht Griechisch - Englisch. Elisabethanisches
     großes C.«
    Ich schob Ben den Block hin.
     Er las, dann sah er mich verwirrt an. Statt einer Antwort schob ich ihm
     das Buch hin und tippte auf den Absatz, den ich meinte.
    Es war die Seite, die ich
     letzte Nacht gelesen hatte, eine Liste von Shakespeares jakobäischen
     Magna opera, die Chambers einzeln und mit

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