Die Shakespeare-Morde
wie man so sagt, »ganz Ohr«.
Aber vielleicht sind Sie
kein Spieler.
Als Pfand meiner
Dankbarkeit für die Zeit, die Sie sich bereits genommen haben, lege
ich Ihnen eine Ballade bei. Die neuweltliche Interpretation einer alten
schottischen Weise, wie ich vermute. Es war ein verteufeltes Stück
Arbeit, hier oben in den Lagern die gängigen Lieder durchzugehen auf
der Suche nach einem Einzigen, das nicht Papier und Tinte erröthen
lassen würde, aber ich hoffe, Ihnen dieses ohne derartige Scham
überstellen zu dürfen.
Ich habe die Ehre, etc.,
ergebenst Ihr Jeremy Granville
Die Grüße und die
Unterschrift waren in eine Zeile an den unteren Rand gequetscht, sodass
sie auf den ersten Blick wirkten wie eine Zeile mitten im Fließtext.
Ich blätterte weiter.
»-beeren«,
schrieb Elisabeth. »Während ich mich, wie Du Dir vorstellen
kannst, wegen der Bären fürchtete!!!«
Kein Wunder, dass Professor
Child darauf verfallen war, Balladen zu sammeln. Ich blätterte wieder
zurück zu Granvilles Brief. War es das, was Ros entdeckt hatte?
Es musste so sein.
Hastig blätterte ich
durch die letzten Papiere der Kiste, aber ich konnte weiter nichts Ungewöhnliches
finden. Außerdem fehlte die erste Seite von Jeremy Granvilles Brief.
Ich überprüfte die Katalogliste und stellte fest, dass seine
Existenz überhaupt nicht erwähnt war. Es schien, als wäre
das einzelne Blatt versehentlich zwischen die Seiten von Elisabeths Brief
geraten, womöglich schon auf Professor Childs Schreibtisch. Und der
Bibliothekar, der das Material später katalogisierte, hatte den
Fehler nicht bemerkt.
Die einsame Seite trug weder
Datum noch eine spezifische Ortsbeschreibung - keine Information bis auf
die Unterschrift und den Fundort zwischen Childs Papieren, mit deren Hilfe
sie sich historisch einordnen ließ. Außer der Erwähnung
einer »antiken« Ausgabe von ›Don Quixote‹.
Siedend heiß fiel mir ein, dass ich in Ros’ Regalen eine ganze
Abteilung zu ›Don Quixote‹ gesehen hatte. Aber was hieß
das schon? Das Buch gehörte zur Weltliteratur wie die ›Ilias‹
oder ›Krieg und Frieden‹ - Ros’ Interesse daran war
eine intellektuelle Vorliebe, die alles andere als originell war.
Trotzdem konnte der Bezug
hilfreich sein, um Granvilles Fund zu datieren. Die spanische
Originalausgabe von ›Don Quixote‹ war zu Beginn des 17.
Jahrhunderts erschienen, etwa zu der Zeit, als Königin Elisabeth I.
starb. Nur knapp zehn Jahre später entstand die erste englische
Übersetzung. Granvilles »antike Ausgabe des Don Quixote«
konnte also frühestens aus dieser Zeit stammen. Gleichzeitig konnte
der Brief nicht aus einer Zeit nach Professor Childs Tod - gegen Ende des
19. Jahrhunderts - datieren. Ich stöhnte innerlich. Das war keine große
Hilfe: Zwischen beiden Daten lag eine Spanne von fast dreihundert Jahren.
Mein Blick fiel auf den
Chambers-Band, der schweigend vor mir auf dem Tisch lag. Zumindest der
Anfang jener Zeit wurde von Chambers abgedeckt, der über viel mehr
schrieb als nur über Dramen. Ich griff nach dem Buch, schlug die
letzte Seite auf und seufzte. Das Register aller vier Chambers-Bände
fand sich im letzten Band - den ich bei Ros im Regal stehen gelassen
hatte. Dann blätterte ich zurück zu der Seite, die Ros markiert
hatte, und begann erneut zu lesen.
Plötzlich schien das
Licht im ganzen Saal heller zu werden, als mir dämmerte, was
Granvilles Worte zu bedeuten hatten. Ich nahm mir noch einmal den Brief
vor. Vielleicht hatte ich es nur geträumt. Nein, dort stand es,
schwarz auf weiß.
Ich griff nach meinem Block
und begann hastig den Wortlaut des Briefs abzuschreiben. Meine Hand flog
über das Papier. Der Mann mit dem Hundeblick sah wehmütig zu mir
herüber, neidisch, dass ich etwas entdeckte hatte, das sich
abzuschreiben lohnte. Auch wenn Ben sich kaum bewegte, brannte sein Blick
auf meiner Haut. »… eine Art durchgestrichene Spirale. Ich hätte
es für Griechisch gehalten …«, schrieb ich und fügte
die Bemerkung hinzu: »Nicht Griechisch - Englisch. Elisabethanisches
großes C.«
Ich schob Ben den Block hin.
Er las, dann sah er mich verwirrt an. Statt einer Antwort schob ich ihm
das Buch hin und tippte auf den Absatz, den ich meinte.
Es war die Seite, die ich
letzte Nacht gelesen hatte, eine Liste von Shakespeares jakobäischen
Magna opera, die Chambers einzeln und mit
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