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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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sind hier in
     Harvard. Hier machen sie um Punkt neun auf, darauf können Sie Gift
     nehmen.« Ich grinste ihn an. »Wir sind nicht zu spät, wir
     sind zu früh.«
    »Na gut«, sagte
     Ben. Er beugte sich vor und berührte meinen Arm. »Sind Sie
     sicher, dass Sie weitermachen wollen?«
    »Wollen Sie mir Angst
     machen?«
    »Sie sollten Angst
     haben.«
    »Das heißt nicht,
     dass ich aufgebe.«
    Er nickte, und ich bildete
     mir ein, eine Spur von Anerkennung in seinem Blick zu sehen. Dann stand er
     auf, ging an den kleinen Kühlschrank und nahm sich eine Dose Red Bull
     heraus. Gegen die Kühlschranktür gelehnt, riss er die Dose auf.
     »Haben Sie im Flugzeug geschlafen?«
    »Nein.«
    »In der Nacht davor?«
    »Nicht viel.«
    Er sah mir in die Augen.
     »Kampfregel Nummer eins: Erschöpfung macht dumm. Und Dummheit
     heißt Gefahr - für Sie selbst und jeden in Ihrer Nähe. Im
     Moment bin ich das. Also wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es
     wenigstens versuchen würden.« Er zeigte auf die Schlafzimmertür.
     »Da drin ist das Bett. Und das Bad. Fühlen Sie sich wie zu
     Hause.«
    »Das meinen Sie doch
     nicht ernst.«
    Doch er meinte es ernst.
     »Wir haben genug Zeit, dass Sie sich noch ein paar Stunden aufs Ohr
     hauen können. Wenn Sie irgendwas brauchen, ich bin hier draußen.«
    Das stellte er sich also
     unter Teamarbeit vor. Er schickte mich wie ein kleines Kind ins Bett. Es
     ärgerte mich, aber gleichzeitig war ich todmüde. Ich trottete
     zum Schlafzimmer.
    »Schlafen Sie gut, Frau
     Professor.«
    »Hören Sie auf,
     mich so zu nennen«, knurrte ich, dann schloss ich die Tür ein
     wenig fester als nötig. Vor mir stand ein riesiges Doppelbett mit
     einer flauschigen weinroten Tagesdecke. Vom Fenster hatte man einen
     herrlichen Blick über Boston. Das Bad war eine warme, saubere Insel
     aus blitzenden Kacheln. Dorthin zog ich mich zurück, nachdem ich so
     viele Türen wie möglich zwischen Ben und mir geschlossen hatte.
    Ich stellte mich unter die
     heiße Dusche und spürte, wie mit dem Schmutz der letzten zwei
     Tage auch die Wut von mir abfiel. Bilder tanzten durch meinen Kopf: die
     Flammen, die in Harry Wideners Arbeitszimmer an den blauen und roten
     Ledereinbänden der kostbaren Bücher leckten. Ein schwarzer
     Brandfleck, der sich wie ein Pilz durch die Seiten der First Folio Edition
     fraß. Die Bücher, dachte ich wieder und spürte einen
     Stich. Die wunderschönen Bücher.
    Wenigstens ist niemand zu
     Schaden gekommen, hatte Ben gesagt.
    Dann tauchten andere Bilder
     vor meinem inneren Auge auf: lose Papiere, die wie ein stilles Schneegestöber
     durch Ros’ Büro wirbelten.
    Die zerschmetterte
     Shakespeare-Büste - eine blutleere Scherbe seiner Wange auf dem
     Perserteppich. Wäre ich zwei Sekunden länger dort gewesen,
     dachte ich, als ich das Wasser abstellte, hätte es meine Wange sein können.
    Ich trocknete mich ab und kämmte
     mir das Haar. Auch wenn es mir nicht passte, von Ben wie ein Kind
     behandelt zu werden - ich hatte mich auch wie ein Kind aufgeführt,
     als ich trotzig aus dem Zimmer stapfte. Im besten Fall musste er mich für
     undankbar und unhöflich halten; wofür er mich im schlimmsten
     Fall hielt, wollte ich mir nicht ausmalen.
    Ich stieß mit dem Fuß
     gegen meine Kleider. Sie stanken nach Rauch. Wenn ich nicht darin schlafen
     wollte, müsste ich hinaus zu Ben gehen und ihn um ein T-Shirt bitten.
     Genervt starrte ich den Kleiderhaufen an. Dann wickelte ich mich in ein
     flauschiges weißes Handtuch, das so groß wie ein Tischtuch
     war, und stapfte ins Wohnzimmer zurück.
    Er saß auf der Seite
     des Sofas, wo er sowohl die Tür als auch die Fenster im Blickfeld -
     und Schussfeld? - hatte. Die Füße hatte er auf den Couchtisch
     gelegt. Seine Pistole lag griffbereit in der Nähe. Er blätterte
     durch den Chambers-Band. Er hatte die Scherbe aus dem Einband entfernt,
     doch der dunkle Blutfleck war noch zu sehen. Als er dort saß,
     stachen seine markanten Gesichtszüge hervor, und ich musste an
     Michelangelo denken oder Rodin - auch wenn Ben bedeutend mehr Kleider
     trug.
    »Ros hat mir erklärt,
     Shakespeares Sprache wäre so reich, weil seine Bühne so kahl war«,
     sagte er unvermittelt, ohne den Blick zu heben. »Keine Kulissen.
     Nichts als ein paar Kostüme und Requisiten.«
    Ich zuckte zusammen. Ich
     hatte gedacht, er hätte mich nicht bemerkt. »Er baute seine
     Welten aus Worten.«
    »Hat keiner von euch
     das Buch hier gelesen?« Mit

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