Die Shakespeare-Morde
sind hier in
Harvard. Hier machen sie um Punkt neun auf, darauf können Sie Gift
nehmen.« Ich grinste ihn an. »Wir sind nicht zu spät, wir
sind zu früh.«
»Na gut«, sagte
Ben. Er beugte sich vor und berührte meinen Arm. »Sind Sie
sicher, dass Sie weitermachen wollen?«
»Wollen Sie mir Angst
machen?«
»Sie sollten Angst
haben.«
»Das heißt nicht,
dass ich aufgebe.«
Er nickte, und ich bildete
mir ein, eine Spur von Anerkennung in seinem Blick zu sehen. Dann stand er
auf, ging an den kleinen Kühlschrank und nahm sich eine Dose Red Bull
heraus. Gegen die Kühlschranktür gelehnt, riss er die Dose auf.
»Haben Sie im Flugzeug geschlafen?«
»Nein.«
»In der Nacht davor?«
»Nicht viel.«
Er sah mir in die Augen.
»Kampfregel Nummer eins: Erschöpfung macht dumm. Und Dummheit
heißt Gefahr - für Sie selbst und jeden in Ihrer Nähe. Im
Moment bin ich das. Also wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie es
wenigstens versuchen würden.« Er zeigte auf die Schlafzimmertür.
»Da drin ist das Bett. Und das Bad. Fühlen Sie sich wie zu
Hause.«
»Das meinen Sie doch
nicht ernst.«
Doch er meinte es ernst.
»Wir haben genug Zeit, dass Sie sich noch ein paar Stunden aufs Ohr
hauen können. Wenn Sie irgendwas brauchen, ich bin hier draußen.«
Das stellte er sich also
unter Teamarbeit vor. Er schickte mich wie ein kleines Kind ins Bett. Es
ärgerte mich, aber gleichzeitig war ich todmüde. Ich trottete
zum Schlafzimmer.
»Schlafen Sie gut, Frau
Professor.«
»Hören Sie auf,
mich so zu nennen«, knurrte ich, dann schloss ich die Tür ein
wenig fester als nötig. Vor mir stand ein riesiges Doppelbett mit
einer flauschigen weinroten Tagesdecke. Vom Fenster hatte man einen
herrlichen Blick über Boston. Das Bad war eine warme, saubere Insel
aus blitzenden Kacheln. Dorthin zog ich mich zurück, nachdem ich so
viele Türen wie möglich zwischen Ben und mir geschlossen hatte.
Ich stellte mich unter die
heiße Dusche und spürte, wie mit dem Schmutz der letzten zwei
Tage auch die Wut von mir abfiel. Bilder tanzten durch meinen Kopf: die
Flammen, die in Harry Wideners Arbeitszimmer an den blauen und roten
Ledereinbänden der kostbaren Bücher leckten. Ein schwarzer
Brandfleck, der sich wie ein Pilz durch die Seiten der First Folio Edition
fraß. Die Bücher, dachte ich wieder und spürte einen
Stich. Die wunderschönen Bücher.
Wenigstens ist niemand zu
Schaden gekommen, hatte Ben gesagt.
Dann tauchten andere Bilder
vor meinem inneren Auge auf: lose Papiere, die wie ein stilles Schneegestöber
durch Ros’ Büro wirbelten.
Die zerschmetterte
Shakespeare-Büste - eine blutleere Scherbe seiner Wange auf dem
Perserteppich. Wäre ich zwei Sekunden länger dort gewesen,
dachte ich, als ich das Wasser abstellte, hätte es meine Wange sein können.
Ich trocknete mich ab und kämmte
mir das Haar. Auch wenn es mir nicht passte, von Ben wie ein Kind
behandelt zu werden - ich hatte mich auch wie ein Kind aufgeführt,
als ich trotzig aus dem Zimmer stapfte. Im besten Fall musste er mich für
undankbar und unhöflich halten; wofür er mich im schlimmsten
Fall hielt, wollte ich mir nicht ausmalen.
Ich stieß mit dem Fuß
gegen meine Kleider. Sie stanken nach Rauch. Wenn ich nicht darin schlafen
wollte, müsste ich hinaus zu Ben gehen und ihn um ein T-Shirt bitten.
Genervt starrte ich den Kleiderhaufen an. Dann wickelte ich mich in ein
flauschiges weißes Handtuch, das so groß wie ein Tischtuch
war, und stapfte ins Wohnzimmer zurück.
Er saß auf der Seite
des Sofas, wo er sowohl die Tür als auch die Fenster im Blickfeld -
und Schussfeld? - hatte. Die Füße hatte er auf den Couchtisch
gelegt. Seine Pistole lag griffbereit in der Nähe. Er blätterte
durch den Chambers-Band. Er hatte die Scherbe aus dem Einband entfernt,
doch der dunkle Blutfleck war noch zu sehen. Als er dort saß,
stachen seine markanten Gesichtszüge hervor, und ich musste an
Michelangelo denken oder Rodin - auch wenn Ben bedeutend mehr Kleider
trug.
»Ros hat mir erklärt,
Shakespeares Sprache wäre so reich, weil seine Bühne so kahl war«,
sagte er unvermittelt, ohne den Blick zu heben. »Keine Kulissen.
Nichts als ein paar Kostüme und Requisiten.«
Ich zuckte zusammen. Ich
hatte gedacht, er hätte mich nicht bemerkt. »Er baute seine
Welten aus Worten.«
»Hat keiner von euch
das Buch hier gelesen?« Mit
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