Die Shakespeare-Morde
gerunzelter Stirn blätterte er
weiter. »Der alte Chambers behauptet, die Londoner Bühnen hätten
Rauch und Wasser spucken und Blitz und Donner, ja sogar Wolkenbrüche
und Feuerwerk hervorzaubern können - wenn auch wahrscheinlich nicht
alles gleichzeitig. Ein Theater hatte einen beweglichen Wald, der aus
Falltüren auf der Bühne wuchs. Vielleicht waren sie nicht ganz so weit wie
George Lucas, aber das hier hört sich nicht gerade nach kahlen
Brettern an. Meine Lieblingsszene ist die, wo Pluto von irgendwelchen
sadistischen Schicksalsgöttern in brennende Kleider gesteckt wird,
und dann - hören Sie sich das an«, mit dem Finger suchte er
eine Zeile am Seitenanfang, »Jupiter steigt mit brüllendem
Donnerkeil majestätisch von einem Regenbogen herab …«
»Haben Sie mir heute
Nacht das Leben gerettet?«
Sein Finger hielt auf der
Seite inne. »Klingt wie ein Lied von Elton John.«
»Ich meine es ernst.«
»Das versuche ich immer
zu vermeiden.«
»Machen Sie eine
Ausnahme. Ihrer Tante zuliebe, nicht meinetwegen.«
Endlich riss er sich von der
Seite los, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände
hinter dem Kopf. Er ließ den Blick über meinen Körper
wandern, und ich musste an einen Leoparden denken, der vom Ast eines Baums
den Gazellen zusieht. »Wollen Sie etwa das Handtuch werfen?«
Mit einem Mal spürte ich
jeden Zentimeter des Handtuchs auf meiner Haut. »So weit ist es noch
nicht.«
»Genau das ist auch
meine Antwort. So weit ist es noch nicht.«
Ich zog das Handtuch enger um
mich. »Trotzdem danke. Dass Sie mir bis jetzt das Leben gerettet
haben.«
»Träumen Sie schön,
Frau Professor«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln
und wandte sich wieder dem Buch zu.
»Mistkerl«,
murmelte ich, als ich mich ins Schlafzimmer zurückzog. Vor dem Bett
blieb ich stehen. Ich hatte Ben um ein T-Shirt bitten wollen; die
Vorstellung, Tür an Tür mit einem Fremden nackt im Bett zu
schlafen, war nicht gerade erfreulich, egal wessen Neffe er war. Doch ich
würde mir eher die Zunge abbeißen, bevor ich noch einmal zu ihm
ginge, um meine Nacktheit anzusprechen. Resigniert ließ ich das
Handtuch fallen, kroch unter die Decke und war eingeschlafen, kaum dass
mein Kopf das Kissen berührte.
*
Als ich aufwachte, wusste
ich, dass ich noch träumte. Kaltes graues Licht, das nach Meer roch;
eine Mauer, die sich in die Ferne streckte. Ein Stück weiter hing ein
schiefer Wandteppich an der Mauer, auf dem Venus und Adonis zu sehen
waren, doch er war aufgeschlitzt und blutverschmiert. Darunter lag ein weißhaariger
König, dem die Krone in die Stirn gerutscht war. Ich beugte mich zu
ihm. Er war tot. Die in den Teppich gewebten Äste raschelten im Wind.
Plötzlich schlug der tote König die Augen auf und griff mit
skelettartigen Fingern nach meinem Arm. »Rache …«, flüsterte
er. Bevor ich mich bewegen konnte, kroch ein Schatten über meinen Rücken,
und die dünne, heiße Klinge eines Messers schnitt mir die Kehle
durch.
Erschrocken fuhr ich hoch.
Anscheinend hatte ich geschrien, denn Ben stand in der Tür. »Alles
in Ordnung?«
»Ja«, sagte ich
und brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Nur ein Alptraum.
›Hamlet‹.«
»Wirklich?« Er
sah mich ungläubig an. »Sie träumen eine Tragödie in
fünf Akten?«
»Eher einen billigen
Horrorfilm.«
Er verschwand kurz, dann kam
er zurück und warf mir ein T-Shirt zu. »Zeit zum Aufstehen. Frühstück
ist fertig«, erklärte er, dann ließ er mich allein und
schloss die Tür hinter sich. Das T-Shirt war grau, ohne Aufdruck, mit
Falten an den Stellen, wo es ordentlich zusammengelegt worden war. Ich
steckte die Nase hinein; es roch frisch und sauber, als wäre es an
einer Wäscheleine auf einer Alpenwiese getrocknet. Als ich es überzog,
wurde mir warm, und der Traum zog sich zurück wie ein träge flüsternder
Gezeitenstrom.
Im Wohnzimmer lief stumm der
Fernseher, während leise Vivaldi-Klänge aus den Lautsprechern
kamen. Es roch nach Bacon und Zimt. Ben stand an der Fensterfront und
starrte hinaus auf den Charles River.
»Pfannkuchen mit Bacon
und Ahornsirup oder Eggs Benedict?«, fragte er. »Wenn Sie
lieber ein Schmalzfleischsandwich hätten, rufe ich noch mal beim
Zimmerservice an.«
Ich verzog das Gesicht.
»Im Charles Hotel kann man Hundefutter ordern? Sie machen Witze.«
Er rümpfte die Nase.
»In der Armee hat
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