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Die Shakespeare-Morde

Die Shakespeare-Morde

Titel: Die Shakespeare-Morde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Lee Carrell
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gerunzelter Stirn blätterte er
     weiter. »Der alte Chambers behauptet, die Londoner Bühnen hätten
     Rauch und Wasser spucken und Blitz und Donner, ja sogar Wolkenbrüche
     und Feuerwerk hervorzaubern können - wenn auch wahrscheinlich nicht
     alles gleichzeitig. Ein Theater hatte einen beweglichen Wald, der aus
     Falltüren auf der Bühne wuchs. Vielleicht waren sie nicht ganz so weit wie
     George Lucas, aber das hier hört sich nicht gerade nach kahlen
     Brettern an. Meine Lieblingsszene ist die, wo Pluto von irgendwelchen
     sadistischen Schicksalsgöttern in brennende Kleider gesteckt wird,
     und dann - hören Sie sich das an«, mit dem Finger suchte er
     eine Zeile am Seitenanfang, »Jupiter steigt mit brüllendem
     Donnerkeil majestätisch von einem Regenbogen herab …«
    »Haben Sie mir heute
     Nacht das Leben gerettet?«
    Sein Finger hielt auf der
     Seite inne. »Klingt wie ein Lied von Elton John.«
    »Ich meine es ernst.«
    »Das versuche ich immer
     zu vermeiden.«
    »Machen Sie eine
     Ausnahme. Ihrer Tante zuliebe, nicht meinetwegen.«
    Endlich riss er sich von der
     Seite los, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände
     hinter dem Kopf. Er ließ den Blick über meinen Körper
     wandern, und ich musste an einen Leoparden denken, der vom Ast eines Baums
     den Gazellen zusieht. »Wollen Sie etwa das Handtuch werfen?«
    Mit einem Mal spürte ich
     jeden Zentimeter des Handtuchs auf meiner Haut. »So weit ist es noch
     nicht.«
    »Genau das ist auch
     meine Antwort. So weit ist es noch nicht.«
    Ich zog das Handtuch enger um
     mich. »Trotzdem danke. Dass Sie mir bis jetzt das Leben gerettet
     haben.«
    »Träumen Sie schön,
     Frau Professor«, sagte er mit einem spöttischen Lächeln
     und wandte sich wieder dem Buch zu.
    »Mistkerl«,
     murmelte ich, als ich mich ins Schlafzimmer zurückzog. Vor dem Bett
     blieb ich stehen. Ich hatte Ben um ein T-Shirt bitten wollen; die
     Vorstellung, Tür an Tür mit einem Fremden nackt im Bett zu
     schlafen, war nicht gerade erfreulich, egal wessen Neffe er war. Doch ich
     würde mir eher die Zunge abbeißen, bevor ich noch einmal zu ihm
     ginge, um meine Nacktheit anzusprechen. Resigniert ließ ich das
     Handtuch fallen, kroch unter die Decke und war eingeschlafen, kaum dass
     mein Kopf das Kissen berührte.
    *
    Als ich aufwachte, wusste
     ich, dass ich noch träumte. Kaltes graues Licht, das nach Meer roch;
     eine Mauer, die sich in die Ferne streckte. Ein Stück weiter hing ein
     schiefer Wandteppich an der Mauer, auf dem Venus und Adonis zu sehen
     waren, doch er war aufgeschlitzt und blutverschmiert. Darunter lag ein weißhaariger
     König, dem die Krone in die Stirn gerutscht war. Ich beugte mich zu
     ihm. Er war tot. Die in den Teppich gewebten Äste raschelten im Wind.
     Plötzlich schlug der tote König die Augen auf und griff mit
     skelettartigen Fingern nach meinem Arm. »Rache …«, flüsterte
     er. Bevor ich mich bewegen konnte, kroch ein Schatten über meinen Rücken,
     und die dünne, heiße Klinge eines Messers schnitt mir die Kehle
     durch.
    Erschrocken fuhr ich hoch.
     Anscheinend hatte ich geschrien, denn Ben stand in der Tür. »Alles
     in Ordnung?«
    »Ja«, sagte ich
     und brachte ein zittriges Lächeln zustande. »Nur ein Alptraum.
     ›Hamlet‹.«
    »Wirklich?« Er
     sah mich ungläubig an. »Sie träumen eine Tragödie in
     fünf Akten?«
    »Eher einen billigen
     Horrorfilm.«
    Er verschwand kurz, dann kam
     er zurück und warf mir ein T-Shirt zu. »Zeit zum Aufstehen. Frühstück
     ist fertig«, erklärte er, dann ließ er mich allein und
     schloss die Tür hinter sich. Das T-Shirt war grau, ohne Aufdruck, mit
     Falten an den Stellen, wo es ordentlich zusammengelegt worden war. Ich
     steckte die Nase hinein; es roch frisch und sauber, als wäre es an
     einer Wäscheleine auf einer Alpenwiese getrocknet. Als ich es überzog,
     wurde mir warm, und der Traum zog sich zurück wie ein träge flüsternder
     Gezeitenstrom.
    Im Wohnzimmer lief stumm der
     Fernseher, während leise Vivaldi-Klänge aus den Lautsprechern
     kamen. Es roch nach Bacon und Zimt. Ben stand an der Fensterfront und
     starrte hinaus auf den Charles River.
    »Pfannkuchen mit Bacon
     und Ahornsirup oder Eggs Benedict?«, fragte er. »Wenn Sie
     lieber ein Schmalzfleischsandwich hätten, rufe ich noch mal beim
     Zimmerservice an.«
    Ich verzog das Gesicht.
     »Im Charles Hotel kann man Hundefutter ordern? Sie machen Witze.«
    Er rümpfte die Nase.
     »In der Armee hat

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