Die Sherbrooke Braut
winkte Kutscher John.
»Was tun Sie, Alexandra?«
»Nach Hause fahren«, antwortete sie. »Wir fahren nach Hause.«
»Herrje, also kein Abenteuer. Wie schade. Vielleicht können wir später einmal Muscheln sammeln gehen. Das macht großen Spaß. Also kommen Sie, lassen Sie sich behilflich sein beim Einsteigen.«
Keine fünf Minuten waren vergangen, da entdeckte Alexandra ein höchst zufriedenes Lächeln auf Sinjuns Gesicht. Sie starrte sie an, zuckte dann zusammen und erschauerte, als es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. Die Range hatte sie vorsätzlich hinters Licht geführt. Unschuldsvoll, von wegen! Alexandra kam sich wie ein ausgemachter Dummkopf vor. Herr im Himmel, welch finstere Mächte hatten sie mitten in diese ausgesprochen ekelhafte Familie hineingesetzt?
Übertölpelt von einer Fünfzehnjährigen, die so lammfromm dreinsah wie eine Nonne. Es war sehr beschämend, beschämender noch als von einem Pferd zu fallen und auf dem Hinterteil zu landen.
Douglas stand am Treppenabsatz von Northcliffe Hall, Hände in den Hüften. Er beobachtete die Kutsche, die den weiten Bogen der Einfahrt entlangfuhr und keine zwei Meter vor ihm zum Stehen kam. Kutscher John machte ein triumphierendes Gesicht. Sein Lächeln war pure Erleichterung. Douglas war froh, daß er seine Mutter mit der Anweisung ins Haus ge-schickt hatte, nicht herauszukommen. Ihr erster Eindruck von Alexandra war alles andere als vielversprechend gewesen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Wut stieg in ihm hoch. Tysen, der dicht neben ihm stand, petzte ihm gerade, was Sinjun alles angestellt hatte, daß sie frech gewesen war und er, Douglas, ihr gefälligst Disziplin beibringen sollte. Douglas lächelte, wohl wissend, daß er ihr im Gegenteil Dank schuldete.
Er kannte Sinjun. Und er hatte recht behalten. In kürzester Zeit war es Sinjun gelungen, seine flüchtige Frau zurückzuholen. Als Mann hätte sie auf die Welt kommen sollen; aus ihr wäre ein hervorragender General geworden.
Kaum öffnete sich der Wagenschlag, da sprang Sinjun heraus, doch Douglas rührte sich nicht. Er starrte über sie hinweg. Schließlich tauchte Alexandra mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf. Sie machte einen geschlagenen Eindruck. Das brachte ihn nur noch mehr in Wut.
»Ich sehe, Sie sind zurückgekehrt«, bemerkte er kalt.
»Ja«, erwiderte Alexandra, ohne aufzublicken. »Ich hatte es nicht vor, doch bin ich anscheinend nicht einmal imstande, das jüngste Mitglied der Sherbrookes zu überlisten.«
Sie mühte sich ab, den Koffer zu halten, was ihn nur noch mehr verdroß. Sie hatte sich noch nicht ganz von ihrer Krankheit erholt, trotzdem hatte sie versucht, ihn wieder zu verlassen - und dabei das lächerliche Köfferchen selbst getragen!
»Bei den Sherbrookes handelt es sich größtenteils um fähige Leute.«
»Dürfte ich jetzt gehen, Mylord?« Während sie das sagte, erhob sie den Kopf und sah ihm ins Gesicht. »Ich möchte jetzt gehen. Bekomme ich die allergnädigste Erlaubnis Seiner Lordschaft?«
»Nein.« Douglas schritt auf sie zu und riß ihr den Koffer aus der Hand. »Kommen Sie.«
Sie machte keine Bewegung. Er spürte, wie jeder Dienstbote des Hauses Sherbrooke dem skandalösen Theater, das sich vor seinen Augen abspielte, begierig folgte. Douglas war gerade im
Begriff, saftigen Tratsch und Klatsch für die kommenden Wintermonate zu bieten.
Er trat näher an sie heran und zischte leise: »Ich bin Ihre Unverschämtheit leid. Sie handeln gedankenlos und leichtfertig. Ich bin nicht mehr bereit, das zu tolerieren. Sie werden augenblicklich mit mir kommen und, Himmeldonnerwetter, tun Sie nicht so, als würde ich Sie jeden Augenblick schlagen!«
Sie straffte die Schultern und trat an seiner Seite ins Haus.
Ihre Schwiegermutter stand ihr gegenüber mit einem Ausdruck, als würde sie jeden Augenblick Gift und Galle spucken. Alexandra verzögerte ihre Schritte. Sie wollte jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Ihr Blick fiel auf einen jungen Mann, und sofort wußte sie, daß es sich um Tysen handelte, der in die Zimperliese mit den zwei Vornamen und dem spärlichen Busen verliebt war. Sinjun war nirgends zu sehen, doch Alex war klar, daß sie von irgendwo zusah. Kein Sherbrooke würde sich so ein vielversprechendes Schauspiel entgehen lassen.
Sie hielt inne. Douglas drehte sich zu ihr um. »Was ist jetzt schon wieder?«
»Wann bringen Sie mich zu meinem Vater zurück?«
»Was, zum Teufel, soll das heißen?«
»Sie wissen
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