Die Sherbrooke Braut
Dryden und Wycherley. Zwar verstand sie nicht alles, was in den Stücken vorkam, doch sie wußte soweit über den Inhalt Bescheid, um sich köstlich darüber zu amüsieren. Und sie verstand sie auch insofern, daß sie Douglas nichts von ihrer Lektüre verriet. Sie hatte nämlich das recht klare Gefühl, er wäre darüber überhaupt nicht begeistert.
»Warum verlassen Sie Douglas?«
»Bitte, steigen Sie aus.«
Sinjun winkte statt dessen dem Kutscher des gegenüberliegenden Wagens zu, der daraufhin sofort losfuhr. Die Mutter blickte ihr noch aus dem Fenster nach. Ein Ausdruck zwischen Hoffnung und Verwirrung lag auf ihrem Gesicht. Allerdings machte sie keinerlei Anstalten, den Wagen anzuhalten.
»Jetzt gibt es keine andere Wahl mehr, es sei denn, Sie wollen, daß ich zu Fuß gehe. Nein, das nehme ich doch nicht an. Sie müssen mit mir reden.«
Das ging einfach zu weit. Alexandra schüttelte nur den Kopf, öffnete den Wagenschlag, packte ihr Köfferchen und stieg aus. Sie blickte in das kreuzbrave erschrockene Gesicht des Kutschers John. »Fahren Sie die Komteß bitte nach Hause.«
»Das geht nicht«, jammerte der Kutscher. »Seine Lordschaft würde meine Gedärme den Schweinen zum Fraß vorwerfen. Es geht nicht! Bitte, Mylady, verlangen Sie das nicht von mir. Ich kann Sie nicht alleine lassen. Man würde mir meine Gurgel aufschlitzen, mir die Haut vom Rücken in Fetzen peitschen!«
»Ich hätte nicht gedacht, daß der Graf so grausam und ungerecht ist. Doch was kümmert es mich? Es ist nicht länger meine Angelegenheit. Offen gesagt, es ist mir gleichgültig, was Sie tun. Bleiben Sie, oder kehren Sie nach Northcliffe zurück. Ich werde diejenige sein, die geht.« Sie drehte sich auf den Fersen um und begann sich auf den Weg zu machen. Der Koffer war schwerer als gedacht. Sie würde es dennoch schaffen. Nur nicht aufgeben oder die Schultern hängen lassen.
Alsbald trippelte Sinjun, so als hätte sie keinerlei Sorgen auf dieser Welt und müßte sich mit nichts anderem als mit der Vielfalt der Schmetterlinge an einem Nachmittagsspaziergang beschäftigen, vor sich hinsummend an ihrer Seite. Kurz darauf folgte ihnen die Kutsche nur ein paar Schritte entfernt hinterher.
»Das ist ja lächerlich«, rief Alexandra und schrie beinahe aus Wut und Enttäuschung. Sie wandte sich abrupt zu Sinjun. »Warum tun Sie mir das an? Ich habe, soweit ich weiß, Ihnen niemals etwas getan. Wie gesagt, ich kenne Sie nicht einmal.«
Sinjun neigte den Kopf zur Seite und bemerkte ungerührt: »Sie sind meine Schwester. Ich habe nie eine Schwester gehabt, nur drei Brüder, und ich kann Ihnen sagen, das ist nicht das gleiche. Douglas hat Sie offensichtlich aus der Fassung gebracht. Er ist manchmal recht selbstherrlich, sogar hart und streng. Aber er meint es gut. Nie würde er Kutscher John peitschen, glauben Sie mir.«
»Mit Ihnen meint er es gut, aber ich bedeute ihm nichts. Gehen Sie jetzt.«
»O nein, ich werde Sie nicht verlassen. Dann würde Douglas auch meine Gedärme den Schweinen zum Fraß vorwerfen. Er hat feste Vorstellungen, was den Schutz von Damen betrifft. Ein wenig altmodisch, aber trotzdem, er ist das Oberhaupt der Sherbrooke-Familie und nimmt seine Verantwortung sehr ernst. Es gibt Dutzende von Sherbrookes, müssen Sie wissen.«
»Seine Ehe nimmt er aber nicht sehr ernst. Gehen Sie jetzt endlich!«
»Ich habe gehört, daß er nicht Sie als Frau erwartet hat, aber dem messe ich keine Bedeutung bei. Tony würde ihm nie eine Katze im Sack schenken, Sie wissen doch, was ich meine. Zwar habe ich Melissande noch nie gesehen, aber jeder behauptet, sie sei das bezauberndste Geschöpf in Südengland, wenn nicht gar einschließlich des westlichen Teils von England. Doch ich sehe es vor mir, wie Douglas mit der Zeit sehr mißmutig geworden wäre, hätte Tony ihm Melissande zur Frau gegeben, anstatt sie selber zu heiraten. Damit will ich Ihre Schwester nicht beleidigen, aber Douglas würde sich mit keiner Frau einlassen, die genau wüßte, wie schön sie ist, und die von jedem erwartet, daß er die ganze Zeit ihrer Schönheit huldigt. Tony hat das Richtige getan, doch ich hoffe sehr, daß er auch genau weiß, was er tut. Nur verstehe ich nicht, warum...«
Alexandra unterbrach sie. Klar und unmißverständlich erklärte sie: »Hören Sie mir jetzt mal genau zu. Ihr Bruder will mich nicht. Er will meine Schwester. Er liebt sie. Mißmut hat gar nichts damit zu tun. Es ist ihm gleichgültig, daß sie weiß, wie schön sie ist. Er
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