Die sieben Dämonen: Roman
Schulter ans Fenster gelehnt und sah die endlosen Zuckerrohrfelder an sich vorbeiziehen, ohne sie richtig wahrzunehmen. Es war früh am Morgen, und die Bewohner des Niltales waren schon emsig bei der Arbeit. Esel trotteten auf lehmigen Pfaden unter riesigen Lasten von Zuckerrohr; halbnackte Kinder und bis auf die Knochen abgemagerte Hunde rannten in nahe gelegenen Dörfern an den Schienen entlang, um den vorüberfahrenden Zug zu begrüßen; schwarzgekleidete Frauen mit Wassergefäßen auf den Köpfen blieben stehen und gafften dem Zug nach. Schon eine Stunde war es her, daß der Zug die dichtbevölkerten Vororte Kairos passiert hatte, und als der Zug diese erst einmal hinter sich gelassen hatte, bot sich den Passagieren das seit alters kaum veränderte Szenarium des Niltales.
Doch Mark Davison stand der Sinn nicht nach Landschaftsbetrachtungen. Zusammen mit seinen fünf schweigsamen Gefährten saß er in einem Wagen erster Klasse, zog nachdenklich an seiner kalten Pfeife und versuchte, sich sachlich mit jeder Frage, die ihn beschäftigte, auseinanderzusetzen.
Das Problem mit Nancy, die Hauptursache seiner drei schlaflosen Nächte im Nil-Hilton-Hotel in Kairo, bereitete ihm das meiste Kopfzerbrechen. Sosehr er die Gedanken daran auch von sich schieben wollte, um sich auf die tausend Einzelheiten der Expedition zu konzentrieren – er konnte nichts dagegen tun, daß sich ihm die Erinnerung an jenen letzten Abend, den sie zusammen verbracht hatten, immer wieder aufdrängte. Als er Nancy gestanden hatte, daß die Be
rufung für die Professur nicht an ihn gefallen war, hatte sie freundlich und verständnisvoll reagiert. Es würden sich noch bessere Gelegenheiten bieten, hatte sie gesagt, und wenn nicht, so hätte er doch immerhin von seinem Verleger den Auftrag für ein neues Buch erhalten, bei dessen Niederschrift sie ihn mit allen Kräften unterstützen werde. Als sie das Gespräch dann wieder aufs Heiraten lenken wollte, hatte er ihr von der bevorstehenden Ausgrabung erzählt.
Mark kannte ihren hitzigen Charakter und hatte erwartet, daß sie sich aufregen würde. Nancy war teils irischer und teils lateinamerikanischer Abstammung, und Mark hatte es schon öfter erlebt, was es bedeutete, wenn diese zur Heftigkeit neigenden Temperamente sich gegenseitig hochschaukelten. Also hatte er sich auch diesmal auf eine Auseinandersetzung gefaßt gemacht. Um so verblüffter war er jedoch, als sie ihn zuerst nur einige Zeit entgeistert anstarrte, dann in sich zusammensank und schließlich traurig und resigniert zu ihm aufblickte. »Ich habe gewußt, daß es eines Tages so kommen würde. Es war kindisch von mir, zu glauben, ich könnte dich hierbehalten, oder zu erwarten, daß du dein Versprechen hältst.«
Als er widersprechen wollte, fuhr sie in einem vernichtend sanften Ton fort: »Ich liebe dich mehr denn je. Sogar so sehr, daß ich dich gehen lassen kann. Ich meine, nicht nur nach Ägypten, sondern für immer. Ich verstehe, wie sehr du die Arbeit im Gelände brauchst, Mark, aber ich brauche ein Zuhause und Kinder. Nein, ich werde nicht mit dir gehen, und ich werde dich auch nicht heute nachmittag heiraten. Das würde überhaupt nichts ändern. Tu, was du tun mußt, Mark, und wenn ich noch hier bin, wenn du zurückkommst …«
Sie hatte ihren Satz nicht beendet. Während der Zug jetzt an Bewässerungsgräben vorbeiratterte, kreisten Marks Gedanken unentwegt um jene letzte Nacht in ihren Armen, als er sie verzweifelt liebte und sie leise an seinem Hals schluchzte. Sie war nicht zum Flughafen gekommen, um sich von ihm zu verabschieden. Als er sie daraufhin von der Wartehalle aus anrufen wollte, erhielt er die Auskunft, der Anschluß sei gekündigt worden.
Das Geräusch von raschelndem Papier holte Mark in die Gegenwart zurück. Er wandte den Blick vom Fenster ab und sah Ron an, der ihm gegenüber mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saß und eifrig etwas in sein Notizbuch kritzelte. Ron hatte den dreitägigen Aufenthalt in
Kairo sinnvoll genutzt. Er war ins Ägyptische Museum gegangen und hatte dort die Bekanntschaft des Museumsdirektors gemacht, der ihm erlaubte, die für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Mumienkammer zu besichtigen. Er verbrauchte zwei Filme, um Aufnahmen von den Pharaonen und ihren königlichen Gemahlinnen zu machen. Danach verwandte er einen weiteren Film darauf, eine in der Fachwelt höchst umstrittene Echnaton-Statue von allen Seiten abzulichten.
Ron Farmers Spezialgebiet war die Anatomie der
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