Die sieben Finger des Todes
west-östlicher Richtung entsprechend dem Haupt und Fuß des Sarkophags liegt. An beiden Stellen finden wir Duplikate desselben Symbols, jedoch so angeordnet, daß die einzelnen Zeichen als Bestandteile einer anderen Schrift, nämlich einer dazu horizontal verlaufenden, erscheinen. Nur wenn man mit geschärftem Auge entweder vom Haupt oder Fuß einen Blick auf die Zeichen wirft, erkennt man sie als solche! Sehen Sie, in den Ecken und im Mittelpunkt von oberem und unterem Rand sind sie dreifach. Jedesmal ist eine Sonne von der Linie des Sarkophags und vom Horizont in die Hafte geschnitten. Knapp dahinter und ihr abgewandt, aber in irgendeiner Abhängigkeit stehend, sehen wir jedesmal die Vase, die in der Hieroglyphenschrift das Zeichen für das Herz darstellt – »Ab«, wie es die Ägypter nannten. Sodann sehen wir zwei ausgestreckte vom Ellbogen an aufwärts gerichtete Arme. Dies ist das Zeichen für »Ka« oder das »Doppelte«. Doch dessen relative Stellung ist oben und unten verschieden. Am Haupt des Sarkophags ist die Spitze des »Ka« der Öffnung der Vase zugewandt, am Fuß zeigen die ausgestreckten Arme von dem Zeichen weg.
Der Symbolgehalt weist wohl darauf hin, daß während der Wanderung der Sonne von Westen nach Osten – von Sonnenuntergang zu Sonnenaufgang, anders ausgedrückt, in der Nacht –, das Herz, das auch in der Gruft substantiell bleibt und diese nicht verlassen kann, einfach eine Drehung vollführt, so daß es stets auf »Ra« den Sonnengott, den Ursprung alles Guten, gerichtet ist, daß aber das »Doppel«, das für das Prinzip der Aktivität steht, sich frei bewegen kann, Tag und Nacht. Falls diese Annahme zutrifft, dann ist dies alles als Warnung gemeint; als Hinweis darauf, daß das Bewußtsein der Mumie nicht ruht, sondern ein Faktor ist, mit dem gerechnet werden muß.
Eine andere Deutung wäre die, daß nach der Nacht der Wiedererweckung, das »Ka« das Herz verlassen würde, ein Hinweis darauf, daß die Königin in einer niedereren und rein physischen Existenz wiedererstehen würde. Was würde nun in diesem Fall aus ihrem Gedächtnis und den Erfahrungen ihrer ins Weite schweifenden Seele? Das für die Welt Wichtigste bei ihrer Auferweckung würde damit verlorengehen! Allerdings mache ich mir darüber keine ernsthaften Sorgen. Es handelt sich ja bloß um Vermutungen, und überdies wäre es das Gegenteil dessen, was die ägyptische Theologie lehrte, nämlich daß das »Ka« ein essentieller Teil menschlichen Wesens sei.« Er machte nun eine Pause, und Dr. Winchester warf ein: »Deutet dies alles nicht darauf hin, daß die Königin fürchtet, jemand könnte in ihre Gruft eindringen?«
Mr. Trelawny gab lächelnd zur Antwort:
»Mein lieber Doktor, darauf war sie vorbereitet. Grabraub ist schließlich keine Errungenschaft unserer Zeit. Dergleichen kannte man wahrscheinlich schon in der Dynastie der Königin. Sie war nicht nur darauf vorbereitet, wie es sich in mancher Hinsicht zeigt, sie erwartete ein Eindringen geradezu. Das Verbergen der Leuchten im »Serdab«, das Aufstellen eines rächenden »Schatzhüters«, das alles deutet auf Verteidigungsmaßnahmen hin, positive wie negative. Den zahlreichen durchdachten Hinweisen könnte man entnehmen, daß sie als Möglichkeit in Betracht zog, andere – wie beispielsweise wir – könnten das Werk vollbringen, das sie sich selbst zugedacht. Die Sache, die ich eben genau beschrieb, ist ein Beispiel dafür! Der Hinweis war für Augen bestimmt, die sehen können!«
Wieder schwiegen alle. Margaret war es, die als nächste sprach:
»Vater, dürfte ich die Skizze haben? Ich möchte sie tagsüber studieren!«
»Aber gewiß doch, mein Liebes«, meinte Mr. Trelawny herzlich, und reichte ihr den Bogen. Er fuhr nun in seinen Anweisungen fort, sachlicher allerdings, in einem Ton, der einem praktischen, von keinerlei Geheimnissen umgebenen Thema angemessen war: »Ich glaube, Sie sollten über die elektrischen Lichtleitungen in diesem Haus Bescheid wissen, für den Fall, daß etwas Unvorhergesehenes eintritt. Sicher ist Ihnen bereits aufgefallen, daß alle Teile des Hauses voll angeschlossen sind, so daß es hier keinen einzigen dunklen Winkel gibt. Das alles habe ich persönlich geplant. Zwei von der Gezeitenströmung angetriebene Turbinen erzeugen den Strom – wie die Turbinen am Niagarafall. Auf diese Weise hoffe ich eventuelle Ausfälle unmöglich zu machen und mir zu jeder Zeit die Stromversorgung zu sichern. Kommen Sie, ich will Ihnen die ganze
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