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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Natur Kraft geholt hatte, empfand es fast als komisch, daß wir kurz vor dem Ende eines so seltsamen fast ungeheuerlichen Unternehmens, uns so krampfhaft an unsere alltäglichen Bedürfnisse und Gewohnheiten klammerten.
    Wir Männer waren durchweg ernst gestimmt. Die Zeit der Abgeschiedenheit hatte allen Gelegenheit zum Nachdenken gegeben. Margaret hingegen war heiter, ja fast fröhlich. Ich aber vermißte an ihr die gewohnte Spontaneität. Mir gegenüber benahm sie sich ein wenig reserviert, was sofort meinen Argwohn weckte. Nach dem Tee ging sie hinaus, um gleich darauf wiederzukommen, die Skizzenrolle in der Hand, die sie sich von ihrem Vater erbeten hatte. An Mr. Trelawny herantretend sagte sie:
    »Vater, ich habe mir gründlich überlegt, was du heute von dem verborgenen Sinn dieser Sonnen und Herzen und »Ka’s« erklärtest, und ich habe die Zeichnungen daraufhin genau untersucht.«
    »Mit welchem Ergebnis, mein Kind?« fragte Mr. Trelawny begierig.
    »Es wäre noch eine andere Deutung möglich!«
    »Ach, und die wäre!« Seine Stimme bebte vor Spannung. Margaret sprach nun mit einem seltsamen Klingen in der Stimme, einem Klang, der vom Bewußtsein der Wahrheit getragen wird.
    »Eine Deutung besagt, daß das »Ka« bei Sonnenuntergang in das »Ab« eintritt, und daß es das »Ab« erst bei Sonnenaufgang verlassen wird!«
    »Weiter!« sagte ihr Vater heiser.
    »Das bedeutet, daß in dieser Nacht, das »Doppel«, das Abbild der Königin, das ansonsten frei ist, in ihrem Herzen bleibt, das sterblich ist und seinen Kerker in der Mumienumhüllung nicht verlassen kann. Wenn die Sonne im Meer versinkt, hört Königin Tera auf, als bewußte Kraft zu existieren – bis zum Sonnenaufgang. Falls nicht das Große Experiment sie zum Leben erweckt. Das alles bedeutet wiederum, daß ihr alle nichts in jener Art zu befürchten habt, an die zu erinnern wir leider Grund haben. Welche Veränderungen das Große Experiment auch bringen mag, sie können keinesfalls von der armen, hilflosen Toten ausgehen, die jahrhundertelang auf diese Nacht wartete, die für diese Stunde die nach Weise der Alten gewonnene ewige Freiheit aufgab in der Hoffnung auf ein neues Leben in einer neuen Welt, wie sie es sich ersehnte…!«
    Sie hielt plötzlich inne. Denn ihre Worte hatten einen seltsam Mitleid erregenden, ja fast flehenden Ton angenommen, der mich tief berührte. In ihren Augen standen Tränen, das konnte ich sehen, ehe sie sich hastig umdrehte.
    Diesmal aber ließ sich das Herz ihres Vaters nicht von ihren Gefühlen rühren. Er war freudig erregt, doch zeigte er daneben eine grimmige Entschlossenheit, die mich an seinen Gesichtsausdruck während der Trance erinnerte. Jedenfalls fand er keine Trostworte für seine Tochter, und sagte nur:
    »Wenn die Zeit gekommen ist, können wir den Wahrheitsgehalt deiner Vermutung und ihrer Gefühle überprüfen!«
    Nach diesen Worten ging er die Steintreppe hoch und betrat sein Zimmer. Margaret sah ihm mit bekümmerter Miene nach.
    Es war seltsam, aber ihr Kummer rührte mich nicht an.
    Nach Mr. Trelawnys Weggehen herrschte Stille. Keinem von uns war nach Reden zumute. Schließlich ging auch Margaret auf ihr Zimmer, und ich trat hinaus auf die über dem Meer liegende Terrasse.
    Die frische Luft und die sich vor mir ausbreitende Schönheit halfen mit, die gute Stimmung wiederherzustellen, die mich auch am Morgen beherrscht hatte. Und schließlich gab ich mich der Erleichterung darüber hin, daß die Gefahr, die ich in der kommenden Nacht von der Königin befürchtet hatte, abgewendet war. Ich glaubte so fest an Margarets Überzeugung, daß es mir gar nicht einfiel, ihre Gründe in Frage zu stellen. Hochgestimmt und gelöster, als ich es seit Tagen erlebt hatte, ging ich auf mein Zimmer und legte mich aufs Sofa.
    Ich erwachte, als Corbeck mir eilends zurief:
    »Kommen Sie rasch hinunter in die Höhle. Mr. Trelawny möchte uns alle unten versammelt sehen. Schnell!«
    Ich sprang auf und lief hinunter zur Höhle. Alle waren sie da, bis auf Margaret, die knapp hinter mir kam. In ihren Armen trug sie Silvio. Als der Kater seinen alten Feind witterte, wollte er sich loskämpfen und zu Boden gelassen werden.
    Doch Margaret hielt ihn fest und beruhigte ihn. Ich sah auf die Uhr. Kurz vor acht.
    Kaum war Margaret gekommen, sagte ihr Vater ohne Umschweife und mit einer für mich neuen Betonung:
    »Margaret, du glaubst also, Königin Tera hätte für heute nacht freiwillig auf ihre Freiheit verzichtet? Sie hätte

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