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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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und gelehrten Königin von seinem Verweilen bei den Sternen Einblicke in Geheimnisse gewann, deren Wert unsterblich ist. Diese Frau begab sich freiwillig zu Lebzeiten ins Grab, und sie kam wieder, wie wir den Berichten in ihrer Gruft entnehmen. Sie entschied sich für einen jungen Tod, damit sie bei ihrer Auferstehung in einem anderen Zeitalter, nach einem endlos langen Trance-Zustand in der Üppigkeit und Pracht ihrer Jugend und Macht aus dem Grab käme. Wir haben Beweise dafür, daß ihr Verstand nicht dahinschwand, daß ihre Entschlußkraft nicht wankte und daß ihr Wille ungebrochen blieb, obwohl ihr Leib über Jahrhunderte hinweg geduldig im Schlaf verharrte. Und was am wichtigsten ist, ihr Gedächtnis blieb intakt. Oh, was für Möglichkeiten eröffnen sich, wenn ein solches Wesen in unsere Mitte träte! Ein Wesen, dessen Geschichte vor den Anfängen der Bibel liegt, ein Mensch der lange vor jener Zeit lebte, als sich die Griechen ihre Götter schufen, der das Alte und das Neue, Erde und Himmel zu vereinen vermag, der den bekannten Welten des Denkens und des physischen Lebens das Geheimnis des Unbekannten unterwirft – das Geheimnis der alten Welt in ihrer Jugend und jenes der Werfen außerhalb unseres Gesichtskreises!«
    Überwältigt hielt er inne. Margaret hatte seine Hand gefaßt und nicht wieder losgelassen. Doch in ihrer Miene ging jene Veränderung vor, deren Zeuge ich in jüngster Zeit des öfteren geworden war. Ihr Wesen verbarg sich wie hinter einem Schleier, so daß ich das Empfinden hatte, ich würde von ihr getrennt. Ihrem Vater war dies während seines heftigen und leidenschaftlich vorgetragenen Wortschwalls entgangen. Und als er innehielt, war sie plötzlich wieder wie früher. In ihren herrlichen Augen sah ich das Funkeln unvergossener Tränen. In einer Geste leidenschaftlicher Liebe und Bewunderung beugte sie sich über die Hand ihres Vaters und küßte sie. Sodann sagte sie zu mir gewandt:
    »Malcolm, du hast eben von den Todesfällen gesprochen, die von der armen Königin verursacht wurden oder vielmehr davon verursacht wurden, daß jemand ihre Pläne durchkreuzen wollte. Glaubst du nicht, daß du in deinen Ansichten ein wenig ungerecht bist? Wer hätte in ihrem Fall wohl anders gehandelt? Bedenke doch, daß sie um ihr Leben kämpfte! Nein, es ging um mehr als nur um ihr Leben! Es ging um Leben, um Liebe, um die herrlichen Möglichkeiten jener fernen Zukunft in der unbekannten Welt des Nordens, die so verlockende Hoffnungen für sie barg. Glaubst du nicht, daß sie mit der ganzen Gelehrsamkeit ihrer Zeit, mit der Kraft ihrer großen Natur, Hoffnungen hegte, die hochgespannten Erwartungen ihrer Seele in weiterem Sinne zu erfüllen? Daß sie hoffte, neben der Eroberung unbekannter Welten, alles das weiterzugeben, was sie aus Schlaf, Tod und Vergehen der Zeit an Erkenntnissen gewonnen? Das alles hätte die rohe Hand eines Mörders oder Diebes zunichte machen können – wie es tatsächlich geschehen ist. Hättest du an ihrer Stelle nicht mit allen Mitteln gekämpft, um das Ziel deines Lebens und deiner Hoffnung zu erreichen, das mit dem Vergehen der endlosen Jahre immer greifbarer schien? Ist es vorstellbar, daß dieser lebhafte Verstand zur Ruhe kam, während ihr sterblicher Körper die vorherbestimmte Stunde erwartete? Während ihre freie Seele zwischen den grenzenlosen Sternenregionen von einer Welt zur anderen flog? Bargen diese Myriaden Sterne in ihrer Vielfalt für sie denn keine Lehre, wie sie uns eine Lehre sind, seitdem wir dem herrlichen Weg folgen, den sie und ihr Volk uns vorgezeichnet, als sie ihre Gedanken auf Schwingen um diese Leuchten der Nacht kreisen ließen!«
    An dieser Stelle machte sie eine Pause. Ihre Gefühle hatten sie so überwältigt, daß ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ich selbst war bewegter, als ich es ausdrücken kann. Das war ganz meine Margaret. Im Bewußtsein ihrer Nähe tat mein Herz einen Sprung. Und meinem Glück entsprang Kühnheit, so daß ich auszusprechen wagte, was ich als unmöglich angesehen hatte, nämlich etwas, was Mr. Trelawnys Aufmerksamkeit auf das lenken würde, was ich als Doppel-Existenz seiner Tochter ansah. Als ich nun Margarets Hand nahm und einen Kuß darauf drückte, sagte ich zu ihrem Vater:
    »Sir, Sie hätte nicht besser sprechen können, wenn der Geist der Königin selbst sie erfüllt und ihr die Gedanken eingegeben hätte!«
    Mr. Trelawnys Antwort setzte mich wahrhaft in Erstaunen. Sie war mir Beweis dafür, daß er einen

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