Die sieben Finger des Todes
Habe ich sie denn nicht am Leibe getragen, monatelang, in der Wüste? Habe ich nicht Nacht für Nacht wachgelegen, um sie zu behüten? Habe ich sie nicht stundenlang durch die Lupe betrachtet, bis meine Augen schmerzten? Bis ich jedes Pünktchen, jede Schramme und jeden Splitter so gut kannte wie ein Kapitän seine Seekarte? So gut wie sie zweifellos allen Gaunern bekannt waren, die dahinter her waren. Sehen Sie, junger Mann, sehen Sie sich das an!«
Er stellte die Leuchten in einer Reihe auf. »Haben Sie jemals Leuchten von dieser Form gesehen? Sehen Sie sich genau diese beherrschenden Figuren darauf an! Haben Sie je eine so vollkommene Sammlung vor Augen gehabt? Sehen Sie doch, auf jeder sehen wir eine der sieben Gestalten von Hathor. Und sehen Sie diese Figur der Ka, einer Fürstin beider Ägypten, die auf der Fähre des Todes zwischen Ra und Osiris steht? Sehen Sie, wie das Auge des Schlafes, auf Beinen stehend, sich vor ihr verneigt? Und im Norden geht Harmochis auf. Findet man dergleichen im Britischen Museum oder in der Bow Street? Mag ja sein, daß ihre Studien im Gizeh-Museum, im Fitzwilliam, in Paris, in Leyden oder Berlin Ihnen gezeigt haben – da diese Episode sehr häufig in Hieroglypheninschriften dargestellt wird – daß dies hier nur Kopien sind. Wahrscheinlich können Sie mir erklären, was die Gestalt der Ptah-Seker-Ausar bedeutet, die das Tet, eingehüllt ins Szepter aus Papyrus, in der Hand hält? Haben Sie es zuvor schon gesehen, im Britischen Museum, in Gizeh oder gar bei Scotland Yard?«
Da brach er unvermittelt in seinem Wortschwall ab und fuhr in gänzlich anderem Ton fort:
»Hm, mir scheint, daß ich es bin, der als dickschädeliger Idiot dasteht! Entschuldigen Sie meine Grobheit, mein Lieber. Aber die Vorstellung, ich würde diese Leuchten nicht erkennen, brachte mich um meine Fassung. Sie tragen es mir doch nicht nach, oder?«
Der Detektiv antwortete aufrichtig: »Aber keineswegs, Sir. Im Gegenteil, es ist mir nur recht, wenn die Leute aus sich herausgehen, mit denen ich zu tun habe, ob sie nun auf meiner oder auf der Gegenseite stehen. Wenn jemand außer sich ist, erfährt man von ihm die Wahrheit. Ich selbst bleibe gefaßt, das gehört zu meinem Beruf. Wissen Sie, daß Sie mir in den letzten zwei Minuten mehr über die Leuchten verraten haben, als mit einem gelehrten Vortrag über deren Merkmale.«
Mr. Corbeck brummte etwas vor sich hin. Er war verärgert, weil er sich so hatte gehenlassen. Ganz plötzlich wandte er sich nach mir um und sagte ganz normal:
»Und jetzt sagen Sie uns, wie Sie die Leuchten zurückbekommen haben?«
Ich war von dieser Frage so überrascht, daß ich ohne Überlegung antwortete:
»Wir haben sie nicht zurückbekommen!«
Der Orientreisende lachte schallend. »Was meinen Sie damit?« fragte er. »Sie haben Sie nicht zurückbekommen! Aber da sind sie doch, vor Ihren Augen! Als wir hereinkamen, standen Sie da und waren in ihre Betrachtung vertieft.«
Mittlerweise hatte ich mich von meiner Überraschung erholt und hatte meine fünf Sinne wieder beisammen.
»Das ist es ja«, sagte ich. »Wir sind zufällig auf sie gestoßen, eben in jenem Moment!«
Mr. Corbeck trat einen Schritt zurück und sah Miß Trelawny und mich scharf an. Sein Blick wanderte zwischen uns hin und her, als er fragte:
»Wollen Sie damit sagen, daß sie nicht von jemandem hierhergebracht wurden? Daß Sie sie hier in dieser Lade gefunden haben?«
»Ich nehme doch an, daß jemand sie hierhergeschafft hat. Sie können ja schließlich nicht von allein gekommen sein. Wer das gewesen sein könnte und wann und wie es geschah, wissen wir nicht. Wir werden eine Untersuchung einleiten und das Personal befragen, ob es etwas weiß.«
Wir standen mehrere Sekunden schweigend da. Schließlich entfuhr es dem Detektiv ganz unwillkürlich:
»Verdammt will ich sein! Entschuldigen Sie, Miß!« Und damit schloß sich sein Mund wie eine stählerne Falle.
Wir ließen nun die Dienstboten einzeln Revue passieren und befragten sie, ob sie etwas von den im Schubfach im Boudoir gefundenen Dingen wüßten. Aber es war keiner darunter, der in diese Angelegenheit hätte Licht bringen können. Wir sagten ihnen nicht, um was für Dinge es sich handelte, auch ließen wir sie diese nicht ansehen.
Mr. Corbeck wickelte nun die Leuchten in Watte und legte sie in einen Blechbehälter. Dieser wurde sodann ins Zimmer der Detektive gebracht, wo einer die ganze Nacht über daneben mit einem Revolver Wache hielt. Am
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