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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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deutlicher hervorzutreten schien als in diesem Augenblick, durch all das Feuer, da aus den dunklen Tiefen ihrer Augen in meine Seele schien, leuchtete unübersehbar der Stolz. Ein Stolz, der Redlichkeit entspringt, ein Stolz, aus reinem Gewissen geboren, der Stolz einer wahrhaften Königin aus alter Zeit, damals als königliches Geblüt bedingte, daß man der Erste, der Größte und Kühnste war, in allen erhabenen Dingen. Während wir sekundenlang so dastanden, klang die tiefe, ernste Stimme ihres Vater wie eine Herausforderung in meinen Ohren:
    »Nun, was sagen Sie jetzt?«
    Meine Antwort war nicht in Worte zu fassen. Ich erfaßte Margarets Rechte, hielt sie fest und schob den Goldreif zurück. Dann beugte ich mich über ihre Hand und drückte einen Kuß auf das Gelenk. Als ich aufblickte, ohne ihre Hand loszulassen, sah ich in ihrem Antlitz einen Ausdruck der Freude, wie ich ihn nur aus himmlischen Träumen kannte. Dann wandte ich mich an ihren Vater:
    »Das ist meine Antwort, Sir!« Sein ernstes Gesicht war von Rührung geprägt. Er sprach ein einziges Wort, als er seine Hand auf unsere verschränkten Hände legte, während er sich bückte und seiner Tochter einen Kuß gab:
    »Gut!«
    Ein Pochen an der Tür schreckte uns auf. Als Reaktion auf ein unwirsches »Herein!« von Mr. Trelawny trat Mr. Corbeck ein. Kaum sah er uns drei beisammen, wollte er sich zurückziehen. Doch Mr. Trelawny war augenblicklich an seiner Seite und zog ihn herein. Und als die beiden einen Händedruck wechselten, schien er mir ein völlig anderer Mensch zu werden. Der Überschwang seiner Jugend, von dem Mr. Corbeck uns erzählt hatte, war wieder da.
    »Die Leuchten wurden also gefunden!« rief er aus. »Meine Überlegung erwies sich als richtig. Kommen Sie, gehen wir in die Bibliothek. Dort sind wir ungestört, und Sie können mir alles erzählen. Und Sie, mein lieber Ross«, sagte er zu mir gewandt, »holen unterdessen den Schlüssel aus dem Bankdepot, damit ich mir die Leuchten ansehen kann!«
    Zu dritt gingen sie in die Bibliothek, während ich mich eilends auf den Weg zur Chancery Lane machte.
    Als ich mit dem Schlüssel zurückkam, traf ich sie noch immer in Corbecks Bericht vertieft an. Indessen war Dr. Winchester hinzugekommen. Mr. Trelawny, der von Margaret erfahren hatte, wie aufopfernd er ihn gepflegt hatte und wie er auch unter Druck daran festgehalten hatte, die geschriebenen Anweisungen zu befolgen, bat den Arzt zu bleiben und zuzuhören. »Es wird Sie vielleicht interessieren, das Ende der Geschichte zu hören«, sagte er.
    Wir nahmen gemeinsam ein frühes Abendessen zu uns. Hernach saßen wir noch eine Weile beisammen, bis Mr. Trelawny sagte:
    »Ich denke, wir trennen uns nun und gehen früh zu Bett. Morgen wird es viel zu bereden geben. Und heute nacht möchte ich nachdenken.«
    Dr. Winchester empfahl sich und nahm in höflicher Voraussicht Mr. Corbeck mit. Sodann sagte Mr. Trelawny zu mir:
    »Ich glaube, heute nacht ist es besser, wenn Sie auch nach Hause gehen. Ich möchte mit meiner Tochter ganz allein sein. Es gibt so vieles, das ich mit ihr besprechen möchte, mit ihr allein. Vielleicht werde ich schon morgen zu Ihnen von diesen Dingen reden können. In der Zwischenzeit aber wird es weniger Ablenkung geben, wenn wir allein im Haus sind.«
    Ich konnte mich gut in seine Lage versetzen, doch die Geschehnisse der letzten Tage wirkten noch in mir nach, deshalb sagte ich ein wenig zögernd:
    »Aber könnte das nicht gefährlich werden? Wenn Sie wüßten, was wir…« Zu meiner großen Verwunderung unterbrach Margaret mich:
    »Malcolm, von Gefahr kann keine Rede sein. Ich werde bei Vater bleiben!« Und sie umfing ihn schützend. Ich sagte nichts mehr und stand auf. Mr. Trelawny äußerte mit großer Herzlichkeit:
    »Kommen Sie so zeitig es Ihnen beliebt, Ross. Kommen Sie am besten gleich zum Frühstück. Danach werden wir beide miteinander etwas zu bereden haben.«
    Damit ging er hinaus und ließ uns allein. Ich umfaßte Margarets Hand und küßte sie, dann zog ich das Mädchen an mich, und unsere Lippen trafen zum ersten Mal aufeinander.
    In jener Nacht fand ich nicht viel Schlaf. Auf einer Seite meines Lagers wehrte das Glück den Schlaf ab, auf der anderen die Bangigkeit. Fühlte ich auch ängstliche Besorgnis, so verspürte ich daneben ein Glück, dem nichts im Leben gleichkommt und je gleichkommen wird. Die Nacht verflog so schnell, daß die Dämmerung mich zu überfallen schien, statt sich wie sonst heimlich

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