Die sieben Häupter
sie, daß das die Beute war, die sie aus dem Brunnen geholt hatte.
»WO HAST DU SIE?« brüllte der Abt. »WO SIND DIE RELIQUIEN, DIE MICH GESUND MACHEN?«
»Obittebittebitteeeeee …«, heulte Tezlaw.
»Weitermachen«, befahl Abt Gernot. »Dieser Menschenschlag ist zäh.«
Roswitha schloß die Augen und wünschte sich, auch die Ohren schließen zu können. Ihr Herz schlug so hart, daß es weh tat. Bernhards weise Ratschläge halfen kein bißchen. Sie ertappte sich dabei, daß sie sich plötzlich und unsinnig wünschte, Bernhard wäre in der Nähe und plante ihre Befreiung. Unsinnig war dieser Wunsch auf jeden Fall; Bernhard war vermutlich nicht in der Nähe, sondern versuchte gerade unter irgendeinen Rock zu kommen (oder er plante irgendeine neue Gemeinheit, die seinen Ruhm und den Reichtum seines Herrn mehrte); oder wenn das nicht zutraf, dann würde er auf alle Fälle keine Zeit damit verschwenden, nach ihr zu suchen. Sie war auch in seinem Spiel nur eine Figur, da machte sie sich keine Illusionen – und schöner als auf diese Weise (in einem abgelegenen Winkel des Waldes von einem blinden Verrückten ohne Zunge zu Tode gequält) konnte er sein Versprechen, sie zu heiraten, gar nicht loswerden. Bei aller Angst und Hoffnungslosigkeit fühlte sie etwas wie Enttäuschung, daß Bernhard sich so verhielt, wie sie es von ihm erwartete; manchmal hatte er geradezu menschliche Regungen gezeigt, und wenn er auch ein übler Bursche war, war er doch nicht viel übler als die meisten und auf jeden Fall besser als die Herren, deren Spiel sie alle zu spielen hatten.
Tezlaw schrie und schwor und verfluchte Dobresit und den heiligen Vitus und jeden Tag seines eigenen Hierseins auf Erden, bettelte und flennte und weinte und spuckte und wand sich. Die Hand des Knechts arbeitete stetig. Abt Gernot hatte sein Gesicht nach oben gerichtet, als warte er darauf, daß eine höhere Macht Tezlaw befahl, seinen Widerstand aufzugeben. Roswitha stellte fest, daß die Gedanken an Bernhard sie ein wenig beruhigt hatten. Was hatte er ihr einmal erzählt? Er hatte geholfen, einen Vetter von Herzog Albrecht aus einer Lösegeldaffärezu befreien; die Aktion war glatt und vollkommen ohne Blutvergießen abgelaufen, weil der Gefangene ein gut ausgebildeter Ritter war und sich alles und jedes um ihn herum eingeprägt hatte, so daß er seinen Befreiern eine wertvolle Hilfe war statt eine Last.
Roswitha hatte dies ebenfalls getan – und es hatte zu ihrer Hoffnungslosigkeit beigetragen. Der Abt mochte seine Schäflein in der Hand seines Feindes zurückgelassen haben, aber die Wachhunde, die seine Herde bewachten, hatte er samt und sonders in Sicherheit gebracht (bis auf den einen, der bei der Gefangenenbefreiung tödlich verletzt worden war). Mehr als ein Dutzend kampfbereiter Männer, die strategisch im Unterholz postiert waren, zum Teil gut versteckt; Bernhard wäre gut beraten gewesen, ebenfalls ein Dutzend Männer zur Hand zu haben, um einen Überfall zu riskieren, ganz gleich, wie gut er als Kämpfer war (und er war gut, sie hatte ihn üben gesehen). Aber Bernhard war allein unterwegs. Sie hatte keine Chance.
»AaaaaaaGnadeGnadeGnadeeeee …«
»Ehrwürdiger Vater?«
»Hör auf.« Der Abt befahl seinem Knecht mit einer Handbewegung, die Fackel beiseite zu tun. Tezlaw schrie weiter. Der Knecht richtete sich auf und trat ihm in die Seite. Tezlaw schloß den Mund und stöhnte in sich hinein.
Gernot wandte sich in Richtung des Mannes, der hereingekommen war. »Was ist?«
»Wir haben einen Gefangenen gemacht, ehrwürdiger Vater. Er sagte, er wolle zu Euch. Er habe etwas, was Euch gehöre.«
Gernot überlegte kurz. »Ist er bewaffnet?«
»Er ist ein großer Bursche mit dicken Armen, aber abgesehen davon: nein.«
»Bringt ihn herein.«
»Fesseln?«
Der Abt lächelte dünn. »Einen unbewaffneten Mann inmitten meiner besten Leute soll ich fesseln lassen?«
Der Knecht drehte sich um und stapfte hinaus. Wenige Augenblicke später brachten er und noch ein Mann einen Bauern mit schmutzigem Gesicht herein, der sich offenbar unbeeindruckt umsah und dann Gernot zuwandte. Unter dem Schmutz in seinem Gesicht war ein Lächeln zu sehen. Eine Hand war zur Faust geballt.
»Knie nieder«, flüsterte der Abt.
»Das hab ich gar nicht nötig, ehrwürdiger Vater«, sagte der Bauer mit fröhlicher Stimme. »Ich besitze etwas, das Ihr dringend haben wollt, ich bin bereit zu verhandeln, und beim Verhandeln kniet man nicht.«
Die Männer um den Abt herum
Weitere Kostenlose Bücher