Die sieben Häupter
hielten in ihrer Fassungslosigkeit die Luft an. Der Abt holte tief und lange Atem. Roswitha vermochte nur mit äußerster Willensanstrengung einen Aufschrei zu unterdrücken.
Der Bauer war Bernhard von Aken.
Überrascht stellte Bernhard fest, wie schön Roswitha war. Und daß er sich freute, sie am Leben und offenbar unverletzt zu sehen. Der Geruch des verbrannten Fleisches war eher in seinen Nüstern angekommen als die Schreie in seinen Ohren, und bis dahin hatte er sich mit der Sorge durchs Unterholz gewunden, daß es Roswitha sein mochte, die Bekanntschaft mit dem Feuer machte. Er hatte sich davon nicht verleiten lassen, unvorsichtig zu werden, doch es war ihm schwergefallen. Daß er gefangen wurde, war auf seinen Willen hin geschehen; wenn es ihm genutzt hätte, hätte er ohne Anstrengung zwei oder drei von Gernots versteckten Männern in aller Stille unschädlich machen können. Er warf dem Gefolterten neben Roswitha einen kurzen Blick zu. Kein schöner Anblick. Es hatte Bernhard noch nie etwas ausgemacht, einen Sterbenden zu betrachten,der bei einem Kampf in Stücke gehackt worden war, aber Folteropfer drehten ihm den Magen um.
»Worüber sollten wir verhandeln?« fragte der Abt nach einer Weile.
Bernhard deutete statt einer Erwiderung auf seine Augen und auf seinen Mund. Der Abt wartete auf die Antwort. Die Knechte sahen sich unsicher an. Bernhard schwieg.
»Er hat gedeutet … äh … auf seine …«, begann einer der Knechte.
»Ich kann es mir denken«, flüsterte der Abt. »Wie?«
»Ihr habt die falschen Götzen angebetet«, sagte Bernhard.
Diesmal schwieg der Abt. Bernhard versuchte, in dem zerstörten Gesicht eine Regung auszumachen, aber bis auf ein langsames Mahlen der Wangenmuskulatur konnte er nichts feststellen – und das mochte daher rühren, daß dem Mann ein guter Teil der Zunge fehlte.
»Der Kerl da, dem ihr die Füße geröstet habt – er hat mir vor einigen Tagen eine Reliquie verkauft.«
»NEEEIIIIN!« schrie Tezlaw. »Bei meiner Seele, ich kenne den Mann nicht!«
»Sprich weiter«, sagte der Abt.
»Er verriet mir, daß sie aus dem Veitsdom zu Prag gestohlen worden sei.«
»GOOOOTT!« kreischte Tezlaw. »Er lügt, ehrwürdiger Vater, er lügt, bei allem, was mir heilig ist und …« Einer von Gernots Männern trat ihm in die Rippen.
Gernot nickte.
»Du bist kein Bauer.«
Bernhard schüttelte den Kopf.
»Was bist du?«
»Ein Reliquienhändler.«
Der Abt holte tief Luft. »Du und deinesgleichen, ihr seid …«
»… heute für Euch unentbehrlich.« Bernhard sorgte dafür, daß sein breites Grinsen in seiner Stimme hörbar wurde.
»Wo hast du es?«
»Hier in meiner Faust.«
Der Abt machte eine Kopfbewegung. Seine Männer taten einen Schritt nach vorn.
»Worin ich es zerquetschen werde, wenn Eure Männer noch näher kommen.«
»Das tust du nicht. Du wärst innerhalb von Augenblicken ein toter Mann.«
»Mag schon sein«, antwortete Bernhard. »Ich wäre in ein paar Augenblicken tot, aber Ihr bleibt ein Leben lang ein blinder Maulwurf.«
»Halt’s Maul«, schrie einer der Männer des Abts und hob die Faust. Er tat einen weiteren Schritt auf Bernhard zu, der den ungeschickten Angriff mühelos abwehrte, das Handgelenk packte, es ruckartig herumdrehte, den Burschen zu Boden zwang, ihm den Fuß auf den Nacken stellte und das Gesicht in den matschigen Waldboden drückte – ohne den Arm loszulassen, der in einem schmerzhaften Winkel aus dem verdrehten Schultergelenk nach oben ragte. Die Schreie des Mannes wurden durch die Laubschicht auf dem Boden gedämpft. Bernhard hatte die andere Hand, in der er den Hühnerknochen versteckt hielt, nicht einmal bewegt.
»Du bist kein Reliquienhändler«, sagte der Abt.
»Heute schon.«
»Willst du ihn ersticken?«
»Habe ich Grund zur Gnade?«
»Ich bitte dich um Gnade für ihn.«
Bernhard hob den Fuß und ließ das Handgelenk los. Hustend und würgend kroch der Mann aus Bernhards Reichweite und rieb sich die schmerzende Schulter. Er blickte böse zu Bernhard hinüber, der ihm grinsend zuzwinkerte. Bernhardfühlte sich großartig; sein Herz schlug langsam und kräftig, die Kraft pochte in seinen Armen, und er wußte, daß er das Spiel schon gewonnen hatte. Was der Abt ihm bot, waren Rückzugsgefechte. Es machte tatsächlich noch mehr Spaß, einen würdigen Gegner wie den Abt mit seinen eigenen Fallstricken zu fangen, anstatt ihn und seine Helfer einfach nur aufzuspießen. Bernhard hatte das Gefühl, daß er in diesem Moment beinahe
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