Die sieben Häupter
na«, brummte Bernhard und begann sie zu wiegen. »Hör schon auf. Sonst muß ich mich am Ende noch dafür schämen, daß mein bester Mann mir das Wams vollrotzt.« Er klopfte ihr auf die Schulter und sagte halb lachend, halb im Ernst: »Reiß dich zusammen, Täubchen – du bist doch ein ganzer Kerl!«
Unter Tränen zeigte sie ihm ein Lachen. Sie stemmte sich an seinen Oberarmen hoch und sah ihm ins Gesicht. Er erwiderte den Blick mit solcher Offenheit, daß sie die Augen niederschlagen mußte.
»Danke«, flüsterte sie.
Bernhard faßte sie um den Nacken und wollte ihr Gesicht zu dem seinen ziehen, aber es war nicht nötig. Sie beugte sich nach vorn und küßte ihn auf die Lippen. Als sie seine Zungenspitze fühlte, zog sie sich zurück, aber es ließ sich dennoch nicht leugnen, daß dies der erste Kuß Bernhards von Aken war, der ihr geschmeckt hatte – und den sie ihm aus völlig freienStücken gegeben hatte. Bernhard entließ sie zu ihrem eigenen Erstaunen aus seinem Griff. Seine Augen waren schmale Schlitze, als er sie musterte. Sie atmete durch. Sie war gerettet. Von dem Mann, dem sie es am ehesten zugetraut und von dem sie es am wenigsten erwartet hatte. Zum zweiten Mal hatte Bernhard von Aken sie vor einem schlimmen Schicksal bewahrt (das erste Mal hatte er sie den lüsternen Händen seiner eigenen Männer entrissen, eine eher ungefährliche Unternehmung); bei diesem zweiten Mal hatte er sein Leben gewagt.
»Warum hast du mich dort herausgeholt?« fragte sie, während er gleichzeitig sagte: »Ich muß dir was erzählen, Täubchen.« Keiner hatte den anderen verstanden. Sie sahen sich an.
»Wie bitte?« fragten sie gleichzeitig.
Roswitha lachte erneut. Sie merkte, wie überspannt es sich anhörte, aber sie konnte nicht aufhören. Bernhard betrachtete sie grinsend, dann legte er ihr eine Hand auf den Mund und setzte sie gleichzeitig so auf seinem Schoß zurecht, daß er sie besser ansehen konnte. Sein Grinsen erlosch.
»Ich habe dir mal was versprochen«, sagte er ernst.
Roswitha hörte auf zu kichern. Sie nahm seine Hand von ihrem Mund, und er ließ sie an ihrem Hals nach unten gleiten und legte sie auf eine ihrer Brüste. Unter den dünnen Fetzen ihrer Männerverkleidung spürte sie die Berührung stärker als sonst. Sie duldete sie, aber sie war ihr nicht willkommen.
»Was meinst du damit?« fragte sie, obwohl sie es wußte. Sie räusperte sich und konnte ihren Herzschlag aufs neue in ihren Ohren hören. Konnte es sein, daß er plötzlich bereit war, sie tatsächlich zur Frau zu nehmen? Jetzt? Wo sie es nicht mehr wünschte? In der Schenke hatte sie es noch nicht gewußt, aber mittlerweile war die Entscheidung getroffen: daß ihr ein Leben auf der Straße an der Seite Ludgers von Repgow lieber war,als am Hof Herzog Albrechts ein und aus zu gehen als das Weib seines wichtigsten Kastellans …
»Du hast dir immer so sehr gewünscht, daß ich eine ehrbare Frau aus dir mache – obwohl du mir als mein bester Kämpfer natürlich lieber bist …« Bernhard brach ab und studierte ihr Gesicht. Seine Augen wurden noch schmaler, und ein Schatten lief über seine Züge, der sie zuerst erschreckte und dann beschämt machte. »Hm …«, brummte er. Er schien seine Hand auf ihrer Brust jetzt selbst erst zu bemerken; nach einem Moment des Zögerns nahm er sie weg. Er öffnete und schloß sie, als wüßte er nicht, was er mit ihr anfangen sollte. »Hm …«, machte er ein zweites Mal. Er musterte die Reliquie mit einem kurzen Seitenblick. »Blinde werden sehend, wie?«
»Wo ist Ludger?« hörte sie sich fragen.
Bernhard kniff ein Auge zusammen. Was immer sie soeben an Gefühlen zu erkennen geglaubt hatte, war plötzlich wieder in seinen groben Gesichtszügen verborgen.
»Ludger?« fragte er. »Ein dürres Elend mit Haaren, als hätte ein englischer Höfling seine Brennschere zu lange in der Hand gehalten?«
»Er heißt Ludger von Repgow. Herr Eike ist sein Oheim.«
»Das ist mal was, worauf man stolz sein kann.«
»Bernhard«, sagte sie. »Hast du ihn gesehen – im Kloster?«
Bernhard umfaßte ihre Oberarme, hob sie hoch und setzte sie neben sich auf den Waldboden. Roswitha war überrascht. Sie hatte einen Augenblick lang geglaubt, er würde sie näher zu sich heranziehen, mit seinen Händen unter ihrem Gewand herumfummeln, um sie dort unten für ein aufgezwungenes Liebesspiel freizumachen. Sie hatte die Verkleidung nicht so weit getrieben, ihren Schoß mit einer Bruche zu bedecken; sie war froh, daß er
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