Die sieben Häupter
erregt hätte, nahm sie die entgegengesetzte Richtung und quetschte sich in den wenige Fuß breiten Spalt zwischen dem Häuschen und der Klostermauer, in dem dorniges Unkraut wuchs.
Sie hörte die Tür klappen und den Schlüssel im Schloß ratschen. Ob der Faßträger sich entfernte, konnte sie nicht feststellen, denn der weiche Boden verschluckte jedes Trittgeräusch. Sie schob den Kopf vor und wollte um die Ecke spähen – aber statt dessen fiel ihr Blick auf ein Fensterchen direkt am Boden, das im Unkraut fast verschwand. Es war vergittert, sicher, um die kostbaren Lebensmittel unten im Keller zu schützen.
Von einem Moment zum anderen schlug Roswithas Herz bis zum Hals. Nicht nur ein, sondern drei vergitterte Kellerfenster verbargen sich in den Brennesseln und Stachelzweigen. Sie wand den Saum ihres Kleides um die Hand, bog das Unkraut auseinander und kniete vor dem nächsten Fenster nieder.
»Dobresit?«
Sie neigte den Kopf, um in den Raum hinter dem Gitter zu spähen, aber es war zu dunkel, um etwas zu erkennen.
»He, Dobresit, seid Ihr dort?«
»Tezlaw?« hörte sie eine Stimme hoffnungsfroh zurückfragen.
Roswithas Herz schlug einen Moment lang schneller. Die Notwendigkeit zu flüstern eröffnete ihr plötzlich ungeahnte Möglichkeiten.
»Ja, doch. Wie geht’s dir?«
»Sie haben mein Söhnchen mit mir eingesperrt, diese Hunde. Meinen Bolo. Sie werden ihm doch nichts tun? Tezlaw, es sind Diener des Herrn Jesus, der die Kinder liebte. Siewerden ihm doch nicht wirklich etwas antun? Was weiß mein Bolo von Beuteln und ihren schmutzigen Geheimnissen?« Die Stimme des Zupan kippte. Wer hätte das gedacht, der alte Gauner besaß tatsächlich ein Herz, wenn es auch nur für die Seinen schlug. »Ein Fröschchen. Er ist nicht ganz richtig im Kopf. Aber ein Gesicht wie ein Engelchen. Wenn der Abt doch nur sehen könnte: Selbst er hätte nicht das Herz, einem Engelchen …«
Der Zupan hatte die Stimme gesenkt, als spräche er nur noch zu sich selbst, Roswitha konnte ihn kaum verstehen. Aber eines schien ihr nun klar: Dobresit hatte den Drachensamen gestohlen, und der Abt wußte davon und wollte ihn … behalten? Noch jemand, der versessen auf die unheimlichen Kräfte des Drachensamens war?
Sie räusperte sich. Es war Zeit, etwas zu wagen.
»Vielleicht könnte sich alles zum Guten wenden, wenn du mir verrätst, wo du den Drachensamen versteckt hast.«
Im Keller wurde es still.
»Ich könnte ihn herbringen und mit dem Abt verhandeln.« Das war eine Lüge, für die Roswitha sich schämte. Nicht so sehr wegen Dobresit, der hatte alle möglichen Strafen verdient für die Verbrechen, bei denen man ihn nicht erwischt hatte, aber wegen seines Engelchens.
»Wovon redest du?« Die Stimme klang plötzlich mißtrauisch.
»Hör, Dobresit, du steckst so tief in der Patsche …«
»Wer bist du? Verflucht! Du bist nicht Tezlaw! Läuft das so? Wollt ihr mir etwas unterschieben? Ich habe nichts. Gar nichts. Ich bin ein Zupan, der nach Gesetz und alter Ordnung seine Pflicht tut …«
Roswitha wollte ihn beruhigen und holte gerade Luft zum Sprechen, als sich eine Hand schwer auf ihre Schulter legte. Ein Mund, der die Wahrheit sagt, hat für immer Bestand, eine lügnerische Zunge nur für einen Augenblick. Zitat des weisen Salomo. Eike von Repgow, der Gelehrte mit dem unbestechlichen Sinn für Gerechtigkeit, hatte es mit Vorliebe an den Beginn seiner Prozesse gestellt. Für die Bösen gibt es keine Zukunft, die Lampe der Frevler erlischt . Auch Salomo. Und Eikes Mahnung an die Sünder, wenn er den Stab über sie gebrochen hatte. All das schwirrte Roswitha plötzlich durch den Sinn und außerdem die niederschmetternde Erkenntnis, daß ihr Auftrag gescheitert war. Erwischt. Ihre Gedanken irrten umher. Abt Gernot hatte sich mit dem mächtigen Grafen von Anhalt angelegt, er brachte einen Halunken vom Schlage Dobresits zum Zittern. Was würde er mit einem Weib anfangen, das ins Kloster gekommen war, um ihn zu hintergehen?
Sie drehte sich langsam um und hob den Kopf. Und hätte vor Erleichterung fast losgeheult. Das blonde Mädchen aus dem Hof stand hinter ihr und lächelte auf sie herab. Ihre Erleichterung verflog allerdings sofort, als sie sah, wie das Mädchen den Finger auf den Mund legte.
»Komm!« Die Fremde zog sie mit sich, aber nicht in den Hof zurück, sondern an der Mauer entlang, durch einen Schlehdornbusch, an dem Roswitha sich das Kleid aufriß, bis hin zu einem kleinen schattigen Flecken, auf dem Kirsch- und
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