Die sieben Häupter
»Wie, sagst du, Dobresit, heißt er? Bolo?« fragte die unangenehm kloßige Stimme des Abts.
»Ihr erschreckt ihn. Laßt ihn herunter, Vater.«
Ein gellender Kinderschrei hallte durch den Keller. Roswitha legte den Kopf auf die Knie und zog die Hände darüber.Nein, dachte sie, er hat ihn nur ein wenig gezwickt. Kein Abt, kein Mann Gottes vergreift sich an einem unschuldigen …
Ein erneuter Schrei. Dobresit begann zu jammern.
Verfluchter Mönch, dachte Roswitha. Verfluchter Bernhard … verfluchter Ludger, der … was auch immer. Verflucht sei jeder Mann auf Erden!
»Vielleicht ist mir der Beutel, den Ihr sucht, doch zwischen die Hände gekommen, auch wenn ich es nicht glaube«, brabbelte der Zupan. »Still doch, Engelchen. Hätte ich gewußt …«
»Wo?« herrschte ihn der Greif an. Der Laut klang, als hätte ihn die Schlange im Garten Eden ausgestoßen.
»Kurz vor Kleinzerbst. Wir hörten Kampfgeschrei und eilten, um nachzuschauen, ob etwas Ungesetzliches …«
Wieder schrie das Kind auf. Ganz sicher, er zwickt es nur. Roswitha spürte, wie ihr Magen zu rebellieren begann. Sie preßte eine Faust gegen ihren Mund.
»Laß die Geschichten. Wo ist der Beutel jetzt?« zischelte die Schlangenstimme.
»An der Kreuzung, dort, wo sich die Straße teilt. Nördlich nach Aken, geradeaus nach Kleinzerbst. Ein altes Anwesen … Ruine … hatte einen Brunnen.« Dobresits Stimme überschlug sich. »In den Brunnen, Herr. Ich hab’s in den Brunnen geworfen. Ich dachte mir nichts.«
»Du dachtest dir, daß du ihn dir später genauer anschaust.«
Es gab ein dumpfes Geräusch, als wäre etwas auf den Boden gestürzt.
»Still, Bolo, still«, flüsterte der Zupan. Roswitha vermutete, daß der Kleine sich in seine Arme geflüchtet hatte, denn er war verstummt.
»Es geht dir schlecht, wenn du uns belogen hast«, knurrte der Mönch, der den Greif begleitete. Im Gang wurde es plötzlich wieder heller. Die beiden Benediktiner verließen die Zelle, und wieder schabte Eisen über Eisen.
Roswitha zog die Beine noch enger an den Körper und preßte die Augen auf die Knie. Erbarmen war ein spärliches Gut und hier im Kloster offenbar so selten wie ein Sonnenstrahl in einem Schneeschauer. Sie hörte auf zu atmen, als die Kutten nur wenige Fuß entfernt von ihr die Wand streiften.
»Wir müssen uns beeilen. Die Brüder werden bereits im Kapitelsaal warten«, wisperte der Mönch, der die Fackel hielt.
»Wir schicken Hagatheo zum Brunnen.«
»Jawohl. Gleich nach der Kapitelsitz…«
»Sofort!«
»Aber das wird Aufsehen erregen.« Die Stimme des Mönchs wurde leiser, da die beiden sich der Treppe näherten. Dennoch spürte Roswitha die drängende Sorge darin. »Man wundert sich bereits, daß Hagatheo den Gottesdiensten fernbleibt. Und sie fragen sich, was ihr Abt in den Kellern zu suchen hat und warum der immer Pünktliche die Gottesdienste versäumt und nun gar zu spät zur Kapitelsitzung erscheint. Sie reden sich dort die Münder heiß. Und wenn sie nicht reden, so denken sie. Der Erzbischof hat seine Spitzel überall. Es wäre von Übel, wenn man seinen Argwohn … ich bitt’ Euch, Vater, laßt Euch raten …« Die Stimmen verloren sich auf der Treppe.
Roswitha wartete, bis die Tür klappte und die Dunkelheit zurückkehrte, und auch dann dauerte es noch eine ganze Weile, ehe sie sich wieder bewegen konnte.
»Daß du wohlbehalten zurück bist!« flüsterte Ethlind. Sie saß auf der Kante der kleinen Bank vor dem Gästehaus und zitterte so heftig, daß sie mit den Händen die Sitzfläche umklammerte.
»Wo ist Hagatheo?«
»Er steht wieder hinter seinem Fenster. Bestimmt fragt er sich, wo du gewesen bist. Wenn sie den Abt Greif nennen, so ist er der Wolf. Er liebt die Jagd. Er hat Freude daran, mich zubelauern. Ich spüre das. Und er will wissen, was dich hierhergeführt hat.«
Wenn er ein waches Auge hatte, das mehr als Weiberkleider sah, würde sein Argwohn ihm bald die bösesten Gründe liefern. Roswitha schüttelte mutlos den Kopf. Wenn die Versammlung im Kapitelsaal vorüber war, würde Hagatheo dem Abt von dem Frauenzimmer erzählen, das sich ins Kloster eingeschlichen hatte und sich seltsam benahm und möglicherweise gar kein Weib, sondern ein Herr von Rietzmeck war. Und wenn das durch ein Wunder unterblieb, dann würde der Greif seinen Getreuen zu dem Brunnen schicken, in dem der Beutel lag. Wie würde Bernhard von Aken reagieren, wenn er hörte, daß seine Liebste, seine Hure, versagt hatte?
Nein, es hatte keinen
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