Die sieben Häupter
musterte seine Umgebung. Das Blockhaus, in dem er lag, bestand nur aus einem Raum. An den Wänden hingen gefärbte und bestickte Decken sowie einige Trophäen: Hirsch- und Elchgeweihe und uralte Hörner vom Wisent. Auf dem Dielenboden waren Pelze und Decken ausgebreitet. In der Ecke ihm gegenüber war aus quadratischen Steinen ein Herd aufgeschichtet worden. Vor dem Fenster stand ein Spinnrad. Auf dem roh gezimmerten Tisch sah er Teller und Becher aus Holz und auf der kleinen Konsole über seinem Lager ein kleines Pferd aus Ton und geschnitzte Bildnisse einiger Hausgötter.
Das ließ auf einen slawischen Haushalt schließen, möglicherweise auf die Unterkunft eines Dorfältesten. Ludger hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand. Wahrscheinlich irgendwo südlich von Köpenick, wenn sie ihn nicht, während er bewußtlos war, ganz woanders hingeschafft hatten. Wer wohl? Hagatheo und seine Kumpane …? Er hoffte und betete, daß es Jäger aus askanischen Landen gewesen waren.
Seine Wunde schmerzte noch immer, aber das Fieber war verschwunden und er hatte wieder einen klaren Kopf. Er sehnte sich nach einem Menschen, mit dem er über alles sprechen konnte, was ihn bewegte. Wenn doch nur Konrad hier wäre! Als ihm bewußt wurde, was er da gedacht hatte, erschrak er. Er fühlte, daß es da eine geheimnisvolle Kraft gab, die ihn an Konrad band. Mehr, als es bei einem Freund und einem Bruderder Fall gewesen wäre. In höchstem Maße verwirrt, wollte er dagegen ankämpfen, doch es ließ sich nicht verhindern, daß er in der nächsten Stunde Konrad von Rietzmeck alles erzählte, was er in den letzten Wochen erlebt hatte, so erzählte, als säßen sie sich in einer Schenke beim Rotwein gegenüber.
»… dieser Hagatheo und seine beiden Männer haben mich durch die Gegend gejagt wie einen heurigen Hasen. In Grimschleben wollten sie mich mitnehmen, und als ich mich störrisch zeigte, kam es zu einem heftigen Wortwechsel, in dessen Fortgang mir einer der Männer seinen Speer in die Schulter jagte. Ich gab meinem Pferd die Sporen, aber sie schnitten mir den Weg nach Nienburg ab. Meine Verletzung hinderte mich, die ganze Schnelligkeit meines Pferdes auszuspielen. Sie trieben mich immer weiter in die Wälder hinein, versessen darauf, meiner habhaft zu werden. Dies wohl in der Annahme, ich führte den Beutel mit dem Drachensamen schon bei mir oder würde ihn auf der Flucht an mich bringen wollen. Wie auch immer, ich konnte es zunächst vermeiden, Hagatheo in die Hände zu fallen, ihm aber gelang es, mich von allen Orten fernzuhalten, an denen mir Hilfe zuteil geworden wäre. Und die brauchte ich dringend, denn mit meiner Blessur wurde es von Stunde zu Stunde ärger. Die Zeit arbeitete also für Hagatheo. Meine große Hoffnung war Belzig, denn ich war dem Herrn von Jablinze einmal in Wittenberg begegnet und gut Freund mit ihm geworden. Doch Hagatheo und seine Männer waren schon vor mir am Wege nach Belzig und jagten mich weiter gen Osten, wohl hoffend, daß meine Kräfte nicht mehr lange reichen würden. Irgendwann würde ich ganz einfach vom Pferd fallen. Das wußten sie so gut wie ich. Vor Brück und Beelitz trieben sie dasselbe Spielchen mit mir wie vor Belzig. Meine Schwäche wuchs, zumal ich nichts Vernünftiges zu essen hatte. Hinter Beelitz gelang es mir, einem Bauern seinen Korb zu stehlen, und ich fand etwas Brot darin.Ihn anzusprechen und um Hilfe zu bitten wäre aber sinnlos gewesen. Also sprengte ich davon. Lehnin mit seinem Kloster lag nun zu weit im Norden, ebenso Spandau, aber vielleicht kam ich nach Köpenick durch. Nun gut, Ludwig IV. von Thüringen und die Wettiner insgesamt sind gewiß nicht unsere Freunde, aber wenn sie mich auf Burg Köpenick gesund pflegten und nach Meißen brachten, dann würde die Markgräfin Jutta schon dafür sorgen, daß ich bald wieder nach Hause käme. Lassen wir offen, woher und wie gut ich sie kenne … So meine Überlegung. Ich hielt also in die Richtung, in der ich die Spreeniederung vermutete. Dicht hinter mir immer noch Hagatheo und seine beiden Büttel. Daß sie mich in den Nächten nicht erwischten, war ein Wunder. Offenbar hatten sie Angst vor der Dunkelheit, es mochte aber auch sein, daß sie mich gar nicht fangen wollten, wohl hoffend, daß ich sie doch noch zum Versteck des Drachensamens führen würde. Einen weiteren Tag ging es nun durch dick und dünn, bis ich am späten Nachmittag in sumpfiges Gelände kam. Als ich einen Graben vor mir sah, hatte ich die Wahl,
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