Die sieben Häupter
Isolde von Rietzmeck auszugeben, Tochter eines verarmten Ritters, und so weiter und so fort. Aber Eikes letzte Worte hielten sie davon ab. Er kannte sie, wenn er sie auch nicht einzuordnen vermochte. Daß er die Tochter eines von Rietzmeck nicht kannte, das würde er wissen. Sie überlegte nicht lange und ging das Wagnis ein.
»Mein Name«, begann sie mit zitternder Stimme, »ist Roswitha von Eichholz. Ihr kanntet meinen Vater; er war Schöffe.«
Im Gesicht ihres Gegenübers zeigte sich eine Regung des Erkennens. »Der Mann, der so an seiner Familie hing, daß er sie zu den Gerichtstagen mitschleifte.« Es war der Stimme Eike von Repgows anzuhören, daß ihn ein solches Verhalten noch immer verwunderte. Doch es lag keine Feindseligkeit darin. Er wies mit dem Finger auf sie. »Das kleine Mädel mit den blonden Locken«, fuhr er schleppend fort, im Tempo der Erinnerungen, die in ihm aufstiegen, »das immer so aufmerksam zugehört hat.«
Roswitha lächelte, als er das sagte. »Ihr habt das bemerkt?«
Eike von Repgow nickte zur Bekräftigung. »Ihr hättet verdammt noch mal einen hellen Jungen abgegeben.«
Rowithas Lächeln erlosch. Die Kindheitserinnerung, anheimelnd wie ein wärmendes Kaminfeuer im Winter, verschwand.
»Es gibt Dinge, die sind, einmal geschehen, nicht mehr zu ändern«, sagte sie, und ihre Stimme klang ungewollt hart. Sie war eine Frau, sie war allein. Sie mußte kämpfen.
Eike von Repgow lachte erst, tief und gemütlich, dann betrachtete er sie genauer. Er wurde nachdenklich. »Es sind wohl eine Menge Dinge geschehen, die nicht mehr zu ändern sind«, sagte er langsam.
Roswitha warf ihm einen raschen Blick zu. Was wußte er von ihr? Wieviel würde sie ihm sagen müssen? Sie war dumm gewesen, ihrer Verbitterung so nachzugeben. Besser wäre es, den Repgow weiter in süße Erinnerungen einzulullen. Sie brauchte seinen Schutz, wenn das möglich war.
»Herr von Repgow«, fragte sie mit kindlicher Stimme und wechselte rasch das Thema, »wie bin ich hierhergekommen?«
»Meine Gäste brachten Euch mit«, antwortete er. »Sie fanden Euch in einem Brunnen.«
Der Brunnen! Roswitha schauderte es. Wie lange war sie darin gelegen? »Ich hörte jemanden singen«, sagte sie versonnen.
Repgow zuckte mit den Schultern. »Die Gräfin von Anhalt hat eine Menge Sänger dabei.«
Roswitha saß mit einemmal kerzengerade. »Die Gräfin von Anhalt?«
Er nickte. »Frau Irmgard. Sie und ihr Beichtvater, Thaddäus von Hildesheim, weilen derzeit in meinen bescheidenen Mauern.«
War da ein Hauch von Distanz in seiner Stimme? Roswitha taxierte ihn unter gesenkten Lidern, so gut sie es vermochte.Eike von Repgow war ein schwerblütiger Mensch, groß, kräftig, von fast furchteinflößender Statur, dabei still und gutartig. Schroff wirkte er nur durch seine häufige gedankliche Abwesenheit. Man spürte sein Desinteresse an den meisten Menschen, die ihn umgaben. Sie hatte das schon als Kind empfunden, genau wie die Angeklagten, die sich unter seinem neutral interessierten Blick gewunden hatten. Es war faszinierend gewesen, ihm zu lauschen, wenn er mit ihrem Vater diskutierte. Dennoch war er keiner gewesen, auf dessen Schoß man sich hätte flüchten mögen, wenn man den Jagdhund am Kamin zu sehr geärgert hatte, oder den man bat, einem ein Pfeifchen zu schnitzen.
Genau solch einen Mann aber brauchte Roswitha jetzt. Der Name Thaddäus von Hildesheim sagte ihr nichts, es mußte sich jedoch um den Mönch handeln, den sie im Garten gesehen hatte. Und er hatte zweifellos ein deutliches Interesse an ihr. Bei dem Gedanken stellten sich ihr die Haare auf. Und Irmgard von Anhalt war die Frau Heinrichs, den Bernhard verdächtigt hatte, etwas mit dem Verschwinden des Säckchens zu tun zu haben. Ludgers Herr und Auftraggeber! Was wußte sie? Von Ludger, von ihr?
»Ihr habt den Namen meines Neffen erwähnt.«
Da war es heraus. Roswitha schaute ihren Gastgeber nun direkt an. Groß standen ihre Augen in dem blassen Gesicht. »Habe, habe ich noch mehr gesagt?« stammelte sie und seufzte erleichtert, als von Repgow den Kopf schüttelte. Sie spürte seine Verwunderung und errötete. Dabei wußte sie genau, was sie nun sagen wollte. Wohlan, holdes Erröten paßte gerade recht dazu.
»Ihr habt vielleicht«, begann sie zögernd – und auch das Zögern stand ihr hervorragend –, »vom Schicksal meines Mannes gehört.« Es war keine Frage, und sie erwartete keine Antwort. »Er starb, und ich«, sie zögerte erneut, »blieb ohne
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