Die sieben Häupter
war.
»Ach, zum Teufel mit euch allen!« rief Ludger und zerrte vergeblich an den Fesseln.
»Da macht ihr Christen ein solches Getöse um euren ach so großen Gott, aber das einzige, was euch über die Lippen kommt, ist der Name seines finsteren Widersachers.« Pribislaw lachte und betrat die Hütte. Von draußen drang helles Tageslicht durch die niedrige Tür und blendete den Gefangenen. »Hast du Hunger? Wir möchten schließlich nicht, daß du vom Fleisch fällst.«
»Ihr habt wohl Angst um Euer Lösegeld?« fragte Ludger und schüttelte den Kopf. Es störte ihn, daß sein Gegenüber ihn seit einigen Tagen mit dem vertraulichen »du« ansprach, aber er sah keine Möglichkeit, dies zu unterbinden. Ihm waren im wahrsten Sinne des Wortes die Hände gebunden und manchmal auch der Mund gestopft. Er wußte, daß es sinnlos war, aber mitunter tat es gut, sich die Seele aus dem Leib zu schreien. Auch wenn er anschließend mit einem Knebel dafür belohnt wurde.
»Petrissa behauptet, du seist ein sturer Bock«, sagte der Slawe und hockte sich auf den mit Schaffellen ausgelegten Boden. Er saß direkt in Richtung der offenstehenden Tür, und Ludger sah nur seinen Schattenriß. »Normalerweise gefallen mir solche Burschen«, fuhr Pribislaw gönnerhaft fort, »doch in deiner Lage ist das wahrlich nicht klug. Warum willst du unser Feind sein?«
»Ist Petrissa Eure Geliebte?«
Der Faustschlag kam ebenso schnell wie unerwartet. Ein heißer Schmerz fuhr Ludger über die Wange, und Blut sammelte sich in seinem Mund. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er dem anderen das Blut ins Gesicht spucken sollte, doch dann lächelte er, da er glaubte, den wunden Punkt des Slawen entdeckt zu haben.
»Also ist sie es«, sagte Ludger, und das Blut tropfte ihm vom Kinn.
»Sie wird meine Königin sein«, antwortete Pribislaw mit leiser Stimme und gesenktem Kopf. Der Fausthieb schien ihm leid zu tun, auch wenn er dies niemals zugegeben hätte. Einem Ritter gereichte es nicht gerade zur Ehre, einen gefesselten Mann zu schlagen.
»Eure Königin?« fragte Ludger. »Ihr meint …«
»Ich meine, was ich sage.«
Ludger wunderte sich nicht zum ersten Mal über dieseneinerseits so heißblütigen und stolzen Mann, der auf der anderen Seite durchaus besonnen und umsichtig handeln konnte. Ludger kannte zwar einige Slawen, doch die aus dem Spreegebiet im Osten des Reiches waren ihm bislang fremd gewesen. Er hatte die Slawen, zumindest die Elbslawen seiner Heimat, bislang eher als harmlos und gutmütig kennengelernt, sie waren Ackerbauern, Fischer oder Bienenzüchter und hatten sich den deutschen Siedlern und neuen Herren weitestgehend angepaßt, sie trieben Handel mit ihnen und lebten mehr oder minder friedlich nebeneinander. Die meisten von ihnen waren bereits vor Jahrhunderten zum rechten Glauben übergetreten, und auch wenn es immer wieder zu kriegerischen Aufständen und heidnischen Erhebungen gekommen war, so stellten die Slawen keine wahre Gefahr mehr für Reich und Religion dar. Zu viele Stämme gab es, die wie Familiensippen regiert wurden und sich selten zusammentaten. Eine slawische Großmacht würde es wohl niemals geben. Doch nun sprach dieser Pribislaw von seiner zukünftigen Königin, als hätte er allen Ernstes im Sinn, ein Königreich der Slawen zu gründen. Er mußte ein mächtiger und äußerst mutiger Mann sein. Oder schlicht größenwahnsinnig.
»Und Ihr werdet der König sein?« fragte Ludger, bemüht, nicht allzu spöttisch zu klingen.
»So Triglaw es will«, antwortete der Sprewane mit ernster Miene.
In diesem Augenblick erscholl vor der Hütte ein seltsames Geschrei. Es glich einem entrückten Gesang. Vielzählige Frauenstimmen erhoben und überschlugen sich, Kinder kreischten, Hände klatschten, Füße stampften, und Ludger glaubte das angsterfüllte Blöken von Schafen zu vernehmen.
»Was geht dort draußen vor?« fragte er und versuchte, an Pribislaw vorbei durch die Tür zu schauen. Er sah jedoch nur die knorrige alte Eiche, die das niedrigbewachsene Sumpfgebietwie ein kolossaler Berg überragte. In den vergangenen Tagen hatte Ludger des öfteren dieses fürchterliche Geheul gehört, das ihm jedesmal einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Oft hatte er gedacht, nun habe sein letztes Stündlein geschlagen, aber ebenso plötzlich, wie das Geschrei entstanden war, hatte es sich wieder gelegt. »Was treiben Eure Weiber?«
»Ein Opfer zu Ehren unseres Priesters«, antwortete der andere und sprang auf die Beine.
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