Die siebte Maske
Konzert wird gleich beginnen. Sie haben doch Ihre Maske mitgebracht?«
Phil lächelte und war im Begriff, etwas Witziges zu erwidern. Er überlegte es sich jedoch anders, als er den Ausdruck totaler Humorlosigkeit auf dem verunstalteten Gesicht seines Gegenübers bemerkte. Der Ausdruck, mit dem der Mann Phil musterte, verriet – gelinde gesagt – gefährlichen Argwohn.
»Nein«, sagte Phil. »Ich fürchte, ich habe meine Maske nicht mitgebracht.«
Die Augen des Mannes verengten sich zu dünnen Schlitzen.
»Sie sind doch einer von Mr. Frys älteren Kunden, nicht wahr?«
»Äh, gewiß«, sagte Phil in der Annahme, das sei eine gute Antwort.
»Hat Mr. Fry Sie nicht ersucht, Ihre Maske mitzubringen?«
»Ach ja, natürlich, das muß er wohl. Wie dumm von mir. Ich habe es vergessen.«
Der Butler stieß ein kehliges Knurren aus und trat zu einem Schrank. Dann kam er mit einer Handvoll schwarzem Stoff zurück, der keine erkennbare Form hatte.
»Hier«, sagte er schroff, »binden Sie das um. Und seien Sie nächstes Mal nicht so vergeßlich.«
Phil faltete den Stoff auseinander und sah, daß es sich um eine weiche Gesichtsmaske handelte, die Augen, Nase und einen Großteil der Stirn bedeckte. Das Ganze war auch noch mit einem Gummiband versehen. Er kam sich dumm vor, als er tat, was man offenbar von ihm erwartete: Er streifte sich die Maske über und sah aus wie eine verspätete Ausgabe von Zorro dem Rächer.
»In Ordnung?« erkundigte er sich.
»Gehen Sie hinein«, sagte der Butler. Seine Stimme war nicht mehr pelzig. Als Phil zögerte, knurrte er abermals und wies ihm den Weg. Sie gingen den Korridor entlang und kamen in den Hauptraum des Backsteinhauses, ein Wohnzimmer mit hoher Decke, das in einen kleineren Konzertsaal umgewandelt war.
Phil trat in den Türrahmen und erblickte etwas, was entweder ein Traum oder eine Halluzination sein mußte.
Das dominierende Möbelstück des Raumes war ein weißer Konzertflügel mit dazugehöriger Sitzbank, die noch immer auf den Vortragskünstler wartete.
Aber das Publikum war bereits versammelt. Es bestand aus sechs männlichen Mitgliedern. Sie hatten alle Abendanzüge an und saßen in unbequemer, gezwungener Haltung auf Klappstühlen, die um das Instrument herum gruppiert waren. Sie sahen einander so ähnlich wie die Backsteinbauten auf der Straße. Und jeder von ihnen trug eine schwarze Maske, die Augen, Nase und Stirn bedeckte.
Phil hielt unwillkürlich die Luft an und erstarrte. Er stellte fest, daß die anderen bei seinem Eintreten aufgeblickt hatten, aber sonst geschah nichts. Er hätte den ganzen Abend so stehenbleiben können, aber die fleischige Hand des Butlers schubste ihn vorwärts. Wie im Traum ging er weiter. Zwei oder drei Stühle waren unbesetzt, und auf einem davon ließ er sich nieder.
Das also sind Joachims Freunde, dachte er. Und jetzt gehöre ich dazu.
Er betrachtete den Mann, der ihm am nächsten saß. Abendkleidung und Masken hatten zunächst den Eindruck der Gleichförmigkeit erweckt, aber jetzt entdeckte er Unterschiede. Der Mann war untersetzt, das Sakko spannte ihm über dem Magen. Er wischte sich immerzu die Hände nervös auf den Knien ab und brachte es so fertig, die Bügelfalte zu zerstören.
Phil sah sich auch die anderen an. Einer erwiderte seinen Blick, aber hinter der Maske konnte man keinerlei Gesichtsausdruck erkennen. Phil wandte sich ab und spürte deutlicher denn je die elektrisierende Atmosphäre von Nervosität und Ungeduld – und noch etwas. Wer auch immer Joachims Freunde sein mochten und warum auch immer sie sich dazu verstiegen, einem Klavierabend maskiert beizuwohnen, Phil hatte zweifellos schon ein fröhlicheres Konzertpublikum gesehen.
Dann erschien Joachim Fry.
Es hätte Phil nicht überrascht, wenn auch er seine Züge mit einer Maske verhüllt hätte, aber das war nicht der Fall. Er bot sein Gesicht dem Publikum entblößt dar. Er hatte feine, scharfe Züge, trug einen gepflegten ingwerfarbenen Schnurrbart, der zu dem grauen, stark pomadisierten Haar kontrastierte, das aus der Stirn zurückgekämmt war und etwa zweieinhalb Zentimeter über den hohen weißen Hemdkragen hinabhing. Das Hemd war vorn und an den Ärmelbündchen eingekraust, und sein Abendanzug bestand aus glänzendem, silberigem Tuch. Mr. Fry war nicht größer als einen Meter sechzig, aber er verbeugte sich mit der Grandezza eines Zweimeterriesen.
»Meine Freunde«, sagte er und strahlte sie an, »ich danke Ihnen, daß Sie heute abend gekommen sind.
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