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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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irrt sie nun schon durch den finsteren Wald und hat vollkommen die Orientierung verloren. Um sie herum tobt ein wilder Schneesturm, der ihr dicke Flocken in Gesicht und Augen peitscht. Zuweilen hat sie Schwierigkeiten, überhaupt noch etwas zu erkennen in diesem nicht enden wollenden Schneegestöber, und wäre ein paar Mal fast gegen einen Baum gerannt. Sie ist regelrecht steifgefroren, Hände und Füße schmerzen vor Kälte. Mehr und mehr überkommt sie Verzweiflung und Panik, gegen die sie mit einem Rest von Tapferkeit anzukämpfen versucht. Bleib ganz ruhig, mein Mädchen! Wer hektisch wird, macht nur Fehler…! Dann findest du den Ausgang nie. Irgendwann muss doch dieser verdammte Wald einmal zu Ende sein!
    Völlig entkräftet beschließt sie, unter einem kleinen, überhängenden Felsen Schutz zu suchen und sich erst einmal zu sammeln.
    Jetzt bloß nicht einnicken!, mahnt plötzlich eine innere Stimme in ihr, während sie sich schon zunehmend einer bleiernen Müdigkeit ergeben hat. Mit einem Ruck ist sie auf einmal hellwach, reibt sich den Schnee aus den Augen und blickt sich verwundert um:
    Sie ist umgeben von verschneiten Steinriesen, die stumm in ihrer erhabenen Größe auf sie herabschauen. Beim Anblick der bizarr geformten Felsen überkommt Mäu eine Woge tiefer Freude und Erleichterung, Tränen laufen ihr über die vereisten Wangen, ergriffen lehnt sie ihren Kopf an einen der kalten Riesen. Ein intensives Gefühl von Frieden und Geborgenheit durchströmt sie dabei und es kommt ihr vor, als wäre sie endlich nach Hause gekommen.
    Wundersam erquickt und frei von jeglicher Furcht erhebt sie sich und geht weiter. Der Schneesturm hat sich endlich gelegt. Dicke Schneeflocken umschmeicheln nun sanft ihr Gesicht wie Daunenfedern und alles ist auf einmal in das milde, silbrige Licht des Vollmondes getaucht, der über den Tannenwipfeln aufgegangen ist. Die Höhle muss hier ganz in der Nähe sein! Suchend durchquert sie die mächtige Felsenburg und entdeckt auch bald eine Nische in der Steinwand. Mit wild pochendem Herzen eilt sie darauf zu und hofft inständig, dass der Geliebte auch da sein möge!
    Als die ersten Sonnenstrahlen durch die kleine, vergitterte Luke ihres Kerkerverschlags fallen, kommt Mäu langsam zu sich, noch ganz gefangen in dem seltsamen Traum, den sie eben hatte. Sie möchte die schmerzenden Glieder ausstrecken, doch ihre Hände und Füße sind mit schweren Ketten an der Wand fixiert, so dass ihr nur eine kauernde Haltung möglich ist. Der Kopf, der von Beulen und Schrunden übersät ist, tut ihr entsetzlich weh. Das Bewusstsein, nun endgültig verloren zu sein, überkommt sie wieder mit solcher Heftigkeit, dass sie unwillkürlich in verzweifeltes Wimmern ausbricht. Kann ihr denn keiner helfen! Unbändig sehnt sie sich auf einmal nach Schutz und Geborgenheit. Nach dem Retter aus ihrem Traum, der an einem sicheren Ort auf sie wartet, nach der fürsorglichen Umarmung einer sie vor allem Bösen bewahrenden Mutter, die sie niemals erfahren hat. Sie fühlt sich so entsetzlich alleine gelassen von Gott und der Welt. Denkt an die Schaustellerfamilie, die sie so bedingungslos bei sich aufgenommen hatte und ihr Herz zieht sich schmerzvoll zusammen. Wie es ihnen wohl ergangen ist? Ihretwegen hat man die Armen so übel drangsaliert! Hoffentlich hat man den guten Leuten nichts mehr weiter angetan. Sie macht sich die schlimmsten Vorwürfe. Es war ihr noch nicht einmal vergönnt, von ihnen Abschied zu nehmen und danke zu sagen für all die Herzlichkeit, aber sie wird dazu auch keine Gelegenheit mehr haben, denn ihre Tage sind gezählt, wie sie weiß, und sie ergibt sich einer stumpfen Niedergeschlagenheit.
    Kurze Zeit darauf erscheint ein Wärter und kettet sie los. Dann schüttet er einen Eimer kaltes Wasser über sie und reicht ihr ein kuttenartiges Gewand aus grobem Sacktuch, das sie überziehen soll. Anschließend legt er sie wieder in Ketten und führt sie aus der Zelle in einen gewölbeartigen Raum voller Folterwerkzeuge. An der Seite steht ein langer Tisch mit Schreibutensilien. Meister Hans, in seiner vorgeschriebenen grün-roten Amtstracht, betritt die Stube und übernimmt die Gefangene. Bevor er ihr die Daumenschlingen anlegt, zückt er eine kleine Phiole und träufelt Mäu rasch einige Tropfen auf die Zunge. Er beugt sich zu ihr herunter und flüstert ihr zu, dass nun gleich die peinliche Befragung beginnen würde, und er müsse ihr dann leider etwas wehtun. Die Tropfen aber würden ihr die Schmerzen

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