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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Scharfrichter für heute angewiesen wurde, der Delinquentin Daumenschrauben anzulegen. Als Meister Hans ihr das Schraubeisen ansetzt – „Soli Deo Gloria“ * lautet die fromme Inschrift auf dem Folterinstrument – schreit Mäu vor Schmerzen laut auf. Das Blut quillt ihr aus den Fingernägeln, während der Untersuchungsrichter sie fragt, ob sie denn heute ihre Schuld eingestehen wolle.
    Ja, sie gestehe alles, und sie sollten sie doch bitte recht bald töten, damit ihr Elend ein Ende habe, wimmert sie halb wahnsinnig vor Schmerzen. Aber sie habe nicht gelogen, mit dem, was sie gestern über Neuhaus gesagt hätte. Sie schwöre bei dem heiligen Herrgott im Himmel, dass ihr Dienstherr sie immerzu ganz abscheulich bedrängt habe, das sei die reine Wahrheit, so wahr ihr Gott helfe, schreit sie voller Verzweiflung und wird ohnmächtig.
    „So ein stures Miststück, dieses Abdeckerbalg!“, grummelt Kaulbach verärgert.
    „Die ist halt nicht so zimperlich wie die Zornin. Ist wohl einiges gewöhnt. Aber die kriegen wir schon weich. Ich wüsst auch schon wie“, entgegnet Schmes tückisch grinsend. Die Vorsitzenden beraten sich kurz und treffen schließlich eine Entscheidung, die im Tagesprotokoll niedergeschrieben wird:
    Am 23. Mai im Jahre des Herrn 1507 nach der wiederholten peinlichen Befragung der Mörderin und Diebin Maria Dunckel ordnen wir an, die Widerspenstige einstweilen in das Brückenloch zu sperren, um dadurch ihren Starrsinn zu brechen sowie ihre frechen Lügen zu bestrafen und sie dort für eine Weile zu vergessen.

 
18. Totentanz
     
     
     
    Der Tod zum Kind:
    „Kreuch her an du must hy tanzen lern
    Weyne oder lache ich höre dich gern,
    Es hilft dich nicht an deso stunde.“
    Das Kind sagt:
    „Ohwe liebe mutter meyn
    Eyn schwarzer man zeut mich do hyn,
    Nun muss ich tanzen und kann noch nicht gan. “
     
    (Oberdeutscher Totentanz, 1443-1447)
     
     
    Im Morgengrauen des 6. Juni 1507 läutet plötzlich die mächtige Sturmglocke auf dem Pfarrturm von St. Bartholomäus, die sonst immer die Frankfurter Messe ein- und ausläutet, und nach und nach stimmen auch die anderen Kirchenlocken mit ein. Schwarze Fahnen werden auf sämtlichen Türmen gehisst, und der Turmtrompeter verkündet zur siebten Stunde vom Rathausturm die Hiobsbotschaft, die allen, die sie vernehmen, das Blut in den Adern stocken lässt:
    „Der schwarze Tod hält Einzug unter uns. Gott sei uns gnädig!“ Unten im Fischerfeld hat es die ersten Pesttoten gegeben, die Symptome sind eindeutig, genau wie beim letzten großen Sterben im Jahre 1473: Hühnereigroße Schwellungen in den Achselhöhlen und Leisten, die aufbrechen und sich zu Geschwüren und schwarzen Flecken auf der ganzen Haut ausweiten. Die Kranken leiden unter starken Schmerzen und sterben zumeist nach fünf Tagen.
    Die Stadtärzte sind bereits vor Ort und mit ihnen die ersten Gugelmänner, die die Leichen abtransportieren und mit Räucheressenzen die Luft vom fauligen Pestbrodem reinigen. Die pesterfahrenen Ärzte wissen genau, dass sie machtlos gegen die Ausbreitung der Seuche sind, und fühlen sich genauso hilflos und verängstigt wie der Rest der Stadtbevölkerung. Bei der letzten Epidemie, die etwa sechs Monate in Frankfurt gewütet hatte, war fast die Hälfte der Bürgerschaft an der Pest gestorben. Den Doktoren ist bekannt, dass sie häufig noch vor den Patienten sterben, so ansteckend ist die Krankheit. Erst recht bei der noch gefährlicheren Lungenpest. Die solcherart Erkrankten spucken Blut und haben hohes Fieber bei stark angeschwollenen Lymphdrüsen und sterben oft schon nach drei Tagen, manchmal sogar innerhalb von 24 Stunden.
    Im Laufe des Tages vermehren sich die Neuerkrankungen derartig, dass das eigens für die Seuche im Jahre 1492 errichtete Pestilenzhaus am Klapperfeld am Abend bereits voll bis unters Dach ist. Panik breitet sich unter der Frankfurter Stadtbevölkerung aus. Von Todesangst getrieben, fliehen viele Menschen aufs Land, wohlhabende Bürger und Angehörige des Stadtadels flüchten vor der Pest auf ihre Landsitze im Taunus – und sorgen dadurch dafür, dass sich die Seuche auch im Umland rasch ausbreitet.
    Nach einer Woche hat es bereits Hunderte von Toten gegeben. Unentwegt ziehen die Leichenwagen durch die Stadt. Die Kranken sterben so schnell, dass die Gesunden mit der Bestattung kaum nachkommen. Vor den Häusern stapeln sich die Leichen, die sich in der Sommerhitze schnell zersetzen. Ein unerträglicher Verwesungsgestank hängt in den Gassen.

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