Die Siechenmagd
ein wenig erträglicher machen. Sie solle doch am besten gleich geständig sein, dann bliebe ihr vieles erspart. Er werde schon dafür sorgen, dass sie keinen qualvollen Tod hätte… Als sich draußen Schritte nähern, hält der Angstmann inne und fixiert flink Mäus Daumen in den Schlingen.
Der städtische Untersuchungsrichter Schmes, gefolgt von Stadtrat Kaulbach, dem von der Stadt bestellten Obmann der Leprösen, tritt ein und nimmt gewichtig hinter dem Schreibtisch Platz. Nachdem der Henker Mäu an der vorgesehenen Halterung festgemacht und so weit nach oben gezogen hat, bis sich ihre Füße eine Handbreit über dem Boden befinden, erklären die Herren die Kriminaluntersuchung im Falle der Angeklagten Maria Dunckel für eröffnet. Sogleich beginnt Richter Schmes in amtlichem Tonfall mit der Verlesung der Anklageschrift:
„Die Angeklagte Maria Dunckel, Tochter des im Dienste der Stadt Frankfurt stehenden Abdeckers Edmund Dunckel und seiner Ehefrau Anna Dunckel, geborene Backes, wird vom ehrwürdigen Rate der freien Reichsstadt zu Frankfurt am Main der folgenden Verbrechen beschuldigt: Sie soll ihren kranken Dienstherrn hinterrücks und mit kalter Berechnung im Badezuber erschlagen haben, um sich dann anschließend an seiner Habe zu bereichern. Für diesen abscheulichen Meuchelmord an einem hilflosen, siechen Manne, der überdies so großherzig war, eine anrüchige Person wie sie mit einer Vertrauensstellung als Siechenmagd zu belohnen, muss allein bei der Schwere des Vergehens aus der Obrigkeit heraus über das Blut gerichtet werden. Um das Recht der Wiedervergeltung an ihr auszuüben, aber auch, um anderen Siechenmägden ein Exempel zu statuieren, verurteilt der Frankfurter Senat, vertreten durch die Herren Schmes und Kaulbach, die Beklagte zum Tode durch Ertränken.“
Nach der Erhebung der Anklage fragt der Richter die Beschuldigte, ob sie sich der ihr vorgeworfenen Vergehen für schuldig bekenne.
Mäu stammelt unter der Tortur, dass sie zugebe, die Schmuckstücke gestohlen zu haben, um auf der Flucht nicht ganz mittellos zu sein. Sie habe ja auch nur so viel an sich genommen, dass es ihr fürs Erste gereicht hätte, und nicht den ganzen Schmuck aus der Truhe entwendet. Ihren Dienstherrn aber habe sie weder aus kalter Berechnung noch aus Habgier erschlagen. Sie habe überhaupt nicht den Vorsatz gehabt, ihn zu töten, sondern lediglich in ihrer Verzweiflung mit dem Zinnkrug auf ihn eingeschlagen, um sich seiner Zudringlichkeit zu erwehren.
Die Kommissionäre reagieren empört: Sie wolle doch nicht etwa behaupten, dass der einstige Ratsherr Ulrich Neuhaus, ein hochanständiger Mann mit einwandfreiem Leumund, der überdies mit bewundernswerter Tapferkeit das ihm auferlegte schwere Schicksal eines Aussätzigen getragen habe, sich ihr mit unkeuschen Absichten genähert habe!
Trotz der pochenden Schmerzen in ihren Daumen ist Mäu bei wachem Verstand, und es ärgert sie gewaltig, dass die hohen Herren nun auch noch die Stirn besitzen, ausgerechnet Neuhaus als Heiligen zu verklären, wo er sich doch ihr gegenüber stets als alter, geiler Bock gebärdete. Das kann sie einfach nicht auf sich beruhen lassen und hebt mit Empörung in der Stimme an, dazu weitere Angaben zu machen:
„Mit Verlaub, Herr Richter, aber was wahr ist, muss auch wahr bleiben!“, entgegnet sie aufgebracht. „Und der Herr Neuhaus hat immer wieder versucht, mich unzüchtig zu bedrängen. Dafür gibt es auf dem Gutleuthof sogar Zeugen. Die Frau Oberin selbst hat ihn einmal sogar dabei ertappt, wie er wieder so unflätig zu mir war, und ihn dafür auch ganz schön gescholten. Das müsste der Herr Obmann eigentlich auch wissen und wenn nicht, dann kann er doch Schwester Susanna dazu befragen…“
Weiter kommt Mäu nicht mehr, mitten im Satz wird ihr nun von den Amtspersonen grob das Wort abgeschnitten:
„Auf der Stelle schweige Sie still mit Ihren abscheulichen Lügen und schmutzigen Verleumdungen! Der von Ihr so heimtückisch Ermordete war allen auf dem Gutleuthof als vorbildlicher Kranker bekannt, das haben der Herr Prior und auch die Krankenvorsteherin Schwester Susanna ausdrücklich betont. Ihre frechen Behauptungen sind also vollkommen aus der Luft gegriffen!“, keift der städtische Obmann der Leprösen wütend. Sein feistes Gesicht ist feuerrot angelaufen und glänzt wie eine Speckschwarte.
„Hinweg mit dem elenden Schindaas! Züchtiger, entfern Er das gemeine Mensch umgehend, sonst vergess ich mich noch!“, befiehlt der
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