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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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niemand kann ihm widerstehen, alle folgen ihm: Der Papst, der Kaiser, die Hure, der Bettler, das Kind. Macht, Ehre und Reichtum sind nichtig, in der Stunde des Todes zählen nur die guten Werke. Tue Buße und denke an dein schreckliches Ende, an die entsetzlichen Qualen der Hölle, die auf den warten, der das Gute scheut!“, skandiert er immer wieder, durchmischt vom durchdringenden Klang seines Horns.
    Nachdem der Friedhof solcherart umrundet worden ist, versammelt sich die Prozession wieder vor dem Beinhaus der Hellers. „Der Tote“ fordert nun die Menge auf, einen Kreis um ihn zu bilden und sich dabei tanzend fortzubewegen. Von Zeit zu Zeit deutet er auf einen der Tanzenden und ruft ihm zu: „Du bist der Nächste!“
    Einen wohlbeleibten Herrn gemahnt er, dass die Fettesten zuerst verrotten, ein junges Paar schreckt er mit dem Ausspruch, dies sei ihr letzter Tanz, ganz zum Schluss weist er auch auf Martha und feixt gehässig, ihr nächster Buhle sei der Tod.
     
     
    Als Martha spät in der Nacht zum Frauenhaus zurückkehrt, fühlt sie sich wie erschlagen. Der Ausspruch des Knochenmannes geht ihr nicht mehr aus dem Sinn und verfolgt sie bis in den Schlaf hinein. Am Morgen hat sie hohes Fieber und verfällt in ein Delirium, aus dem sie nicht mehr erwacht. Zwei Tage später stirbt sie unter entsetzlichen Qualen an der Lungenpest.
    Etwa zur gleichen Zeit verstirbt auch ihre Schwester Anna Dunckel, von Edu, der während der Pestepidemie als Leichenträger tätig ist, bis zum Schluss aufopferungsvoll gepflegt. Den Tod seiner Frau kann der Abdecker nur schwer verwinden. Vereinsamt und unglücklich, hofft er, die Pest werde auch ihn noch holen.
    Bergeweise Pesttote hat er nun schon durch die Gegend geschleppt, doch noch immer ist er unversehrt geblieben. Selbst der schwarze Mann verschmäht mich! , denkt er bitter.
    Auch Jakob Beltz hat den Tod seiner Gattin zu beklagen, die jedoch nicht der Pest zum Opfer gefallen ist. Katharina ist in den Zeiten des qualvollen Sterbens einfach sanft entschlafen. Eines Morgens lag sie tot in ihrem Bett, neben sich eine leere Theriak-Flasche. Ob sie ihrem Leben damit bewusst ein Ende setzen wollte oder in ihrer Abhängigkeit einfach zuviel von dem Opiat zu sich genommen hat, bleibt für immer unbeantwortet. Ansonsten hat es auf dem Gutleuthof keine weiteren Todesfälle gegeben. Aufgrund der isolierten Lage des Leprosoriums und der klugen Entscheidung des Krankenvorstands, den Schellenknecht während der Epidemie besser nicht mehr zum Almosensammeln nach Frankfurt zu entsenden und sich nur noch aus eigenen Mitteln zu versorgen, bleiben die Aussätzigen von der Seuche verschont.
    Erst zum Winter hin beginnt die Pest in Frankfurt langsam abzuebben. Mehr als ein Drittel der Stadtbevölkerung ist ihr zum Opfer gefallen. Sogar einer der Bürgermeister ist der Seuche erlegen. Zu den Toten gehören auch der Untersuchungsrichter Schmes und mehrere Ratsherrn.
    Meister Hans, der Henker, hat bereits während der ersten Pestwelle still und heimlich die Stadt verlassen. Er werde hier ja nun nicht mehr gebraucht, jetzt wo der große Gleichmacher ihm die Arbeit wegnehmen würde, soll er noch gesagt haben.

 
19. Die Vergessene
     
     
     
    Auch am Brückenturm ist der schwarze Tod nicht spurlos vorbeigezogen. Mehrere Wärter und zwei Gefangene, darunter auch Mariechen Zorn, fielen ihm zum Opfer. Die restlichen Insassen, zwei ungeratene Kinder, drei Kriminalgefangene, ein Schuldner sowie mehrere Kranke von Sinnen hatten während der Seuche unter großen Entbehrungen zu leiden. Nur hin und wieder ließen ihnen die wenigen verbliebenen Turmwärter Nahrung und Trinkwasser zukommen.
    Mäu hat jegliches Zeitgefühl verloren. Sieben Monate sitzt sie nun schon im finsteren Brückenloch, dem unterirdischen Verlies unter dem Brückenturm. Nach dem letzten Verhör hatte man sie durch eine schmale, vergitterte Falltür an einem Seil in die modrige Finsternis heruntergelassen. Danach konnte sie wochenlang ihre Hände nicht gebrauchen. Sie waren von den Daumenschrauben dick geschwollen und schmerzten schon bei der geringsten Bewegung. Schlimmer aber als all die Schmerzen sind die wilde Panik und die schrecklichen Todesängste, die sie immer wieder auszustehen hat. Besonders die erste Zeit verbrachte sie in der ständigen Furcht, bald wieder hochgeholt und gefoltert, oder – noch ungleich schrecklicher – ihrer Hinrichtung zugeführt zu werden. Von Zeit zu Zeit schreit sie sich in ihrer Verzweiflung schier die

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