Die Siechenmagd
Gildemeisterin der städtischen Hurenschaft hat dafür Sorge zu tragen, dass die Juwelen nach Beendigung der Feier wieder unbeschadet und vollständig an die Goldschmiedeinnung zurückgehen. Die Tuchhändler haben vor ein paar Tagen schon ballenweise Samt, Atlas, Seide und Brokat in den leuchtendsten Farben angeliefert und die besten Schneider in der Stadt sind im Auftrag des Senats damit befasst, die Gewänder für die freien Töchter fertig zu stellen, die zu einem derartigen Anlass nicht in ihrer gelben Hurentracht erscheinen sollen. Die Gewänder sind noch nicht da, müssen aber jede Minute eintreffen. Martha hat sich ein Gewand aus dunkelrotem Atlas anfertigen lassen, welches nach der neusten Mode mit „Teufelsfenstern“ * ausgestattet ist. Der Rocksaum, nach hinten in eine lange Schleppe übergehend, soll mit kleinen Silberglöckchen bestickt werden.
Nachdem die vier Hübscherinnen schließlich ihre sorgfältige Toilette beendet haben, perfekt frisiert sind und ihre neuen Gewänder tragen, schreiten sie, anzusehen wie Damen fürstlichen Geblüts, durch die Gassen der Frankfurter Altstadt hin zum Friedhof von St. Bartholomäus. An jeder Straßenecke begegnen sie dem Tod, vor den Hauseingängen stapeln sich die Leichen der Pesttoten, und damit nicht genug, befinden sich nun auch überall in der Stadt verschiedene Schautafeln und Straßenaltäre, auf denen verfaulende Körper und detailgetreue Abbildungen der Verwesung bildlich dargestellt sind. Die Pest treibt seltsame Blüten, denn, umgeben von dem großen Sterben, beginnt das Sterbliche allmählich, die Menschen zu faszinieren. Schon seit einiger Zeit hat sich ein merkwürdiger Totenkult etabliert, dem gerade auch die wohlhabenden Frankfurter Bürger nachgehen. Der Anlass für die heutige Feierlichkeit, die „Einweihung“ des prächtigen Mausoleums der Patrizierfamilie Heller, steht ganz unter diesem Zeichen.
Vorbei an den bereits fertig gestellten prunkvollen Beinhäusern der Familien Stalburg und Melem, den am Wegesrand aufeinander geschichteten Schädeln und Knochen – denn um Platz für neue Leichen zu schaffen, müssen die Totengräber ständig alte Gräber ausheben – gelangen die Hübscherinnen bald zu der neu errichteten marmornen Krypta der Hellers, vor der sich bereits eine größere Menschenansammlung tummelt. Stände mit ausgesuchten Spezereien, Pestelexieren und Reliquien sind aufgebaut, eine Komödiantentruppe führt gerade eine groteske Todesposse auf, und die vornehmen Gastgeber lagern und zechen mit ihren geladenen Gästen, in der Hauptsache namhafte Frankfurter Patrizier und Senatsangehörige, in und um das imposante Beinhaus. Bei ihrem Eintreffen werden die Hübscherinnen von einigen Honoratioren auch sogleich freudig begrüßt, denn, wie die freien Töchter der Stadt inzwischen längst wissen, versetzt die Nähe des Todes manche Herren in eine ausgesprochen sinnliche Stimmung. Nachdem man sich so eine ganze Weile miteinander verlustiert hat, klatscht der Gastgeber, Jakob Heller, in die Hände und lädt die Festgesellschaft ein, ihm ins Innere des Mausoleums zu folgen. Inmitten der Krypta aus schneeweißem Carrarer Marmor befindet sich eine kunstvolle Staffelei mit einem großen, noch verhängten Bild darauf. Der der Malerei höchst gewogene „Hausherr“ entfernt daraufhin mit feierlicher Geste das Tuch und präsentiert dem geneigten Publikum stolz ein Gemälde, welches der berühmte Maler Hans Holbein der Altere in seinem Auftrag gefertigt hat. Es zeigt unverkennbar den Gastgeber, der sich auf dem Gemälde, ganz im Geiste der Zeit, als Kadaver verewigen ließ, versehen mit der Inschrift: „Nun, Elender, welchen Grund gibt es für den Stolz?“
Das Publikum applaudiert in frenetischem Beifall.
„Liebe Freunde, verehrte Gäste, im Anschluss daran darf ich Euch nachher noch zu einem Prozessionsspiel einladen, welches alleine dem großen Gleichmacher gewidmet ist“, verkündet Jakob Heller im salbungsvollen Tonfall eines Leichenredners, nachdem sich der Applaus wieder gelegt hat. Begeistert wie Kinder, die sich ihrem Lieblingsspiel zuwenden dürfen, stürmt die Gesellschaft nun nach draußen. Dort harrt ihrer bereits eine als Knochengerippe verkleidete Gestalt, „der Tote“, und bläst zum Aufbruch gemahnend in sein Horn. Sofort reihen sich alle hinter ihm ein und der tödliche Reigen zieht über den Gottesacker, untermalt vom schaurigen Singsang des Knochenmannes:
„Der große Gleichmacher, der Tod, fordert alle zum Tanze,
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