Die Siechenmagd
Seele aus dem Hals, aber niemand scheint sie zu hören. Ihre einzigen Gefährten sind Ratten und Mäuse, die im dicken Mauerwerk hausen und zuweilen auf der Suche nach Nahrung durch ihren Kerker huschen, und natürlich jede Menge Ungeziefer, Käfer und Insekten. Mit ihnen auch eine Unzahl an großen Spinnen, die überall feine Netze gesponnen haben, in denen sie reichlich Beute machen. Sie sind Mäu mindestens genauso verhasst wie die Nagetiere und die dicken Schaben.
Das Verlies, ein schmaler, gewölbeartiger Raum, ist gerade einmal zwei Meter breit und fünf Meter lang. Wände und die sehr hohe, gewölbte Decke, die sich gute sechs Meter nach oben streckt, sind aus wuchtigen Natursteinen gemauert, die vor Feuchtigkeit glänzen und einen modrigen Geruch verströmen. Das einzige „Mobiliar“ hier unten sind ein paar irdene Trinkbecher und ein Holzeimer, der an einem Seil befestigt ist und von den Wärtern ab und zu mit Trinkwasser gefüllt wird, sowie ein kleiner, ebenfalls an einem Seil befindlicher Brotkorb. Der Gefangenen steht weder eine Schlafpritsche noch ein Strohsack zur Verfügung, einzig das durchnässte, faulige Stroh, welches über den Lehmboden verteilt ist, bietet ihr, übereinander gehäuft, ein mehr als primitives Nachtlager.
Die ersten Monate war sie im Brückenloch noch mutterseelenalleine, zuweilen hat sie schon angefangen, Selbstgespräche zu führen. Inzwischen allerdings hat man ihr Annchen, eine unsinnige junge Frau, beigesellt, die immer wieder in irrsinnige Tobsuchtsanfälle ausbricht und mit der kaum ein vernünftiges Wort zu wechseln ist, was Mäu die Haft noch unerträglicher werden lässt. Im diffusen Licht, welches tagsüber durch die Deckenluke dringt, kann sie erkennen, dass die Kranke von Sinnen ein buntscheckiges Narrenkleid trägt, welches mit kleinen Glöckchen versehen ist, damit man sie draußen immer hört und findet, wenn sie verloren geht, wie es für Toren von der Obrigkeit angeordnet ist. Den ganzen Tag dreht Annchen unentwegt den Kopf hin und her und rollt mit den Augen, während ihr der Speichel am Kinn herunterläuft. Zwischendurch summt und brabbelt sie stundenlang wie ein kleines Kind, was irgendwann in ein gequältes Stöhnen übergeht, dann zum verzweifelten Wimmern wird und schließlich zum reinsten Wolfsgeheule anwächst, das Mäu regelrecht durch Mark und Bein geht. Von Zeit zu Zeit, besonders wenn es im Kerker stockdunkel geworden ist, fängt die Närrin unvermittelt an, vulgär und bösartig loszulachen, ganz so, als hätte sie den Teufel im Leib. Darauf folgen dann zumeist die schlimmen Tobsuchtsanfälle, bei denen die Wahnwitzige gegen imaginäre Widersacher zu kämpfen scheint, die sie aufs Übelste beschimpft, vor denen sie gleichzeitig aber auch eine geradezu panische Furcht hegen muss, denn in tiefster Seelenpein, als wäre ihr nacktes Leben bedroht, fleht sie dabei auch immer wieder, man möge sie doch verschonen. Mäu, von dem unheilvollen Gelächter schon so häufig aus dem Schlaf gerissen, fürchtet sich mittlerweile ganz schrecklich vor diesen Anfällen. Das Herz schlägt ihr während der Ausbrüche bis zum Halse und die Haare stehen ihr förmlich zu Berge. Einmal hat sie in ihrer Verzweiflung versucht, die Tobende zu beruhigen und ihr den wild um sich schlagenden Kopf zu halten, doch da hat Annchen, außer sich vor Wut, Mäu ganz bestialisch in den Arm gebissen. Inzwischen erstarrt Mäu nur noch, wenn die Anfälle auftreten und betet voller Inbrunst zur heiligen Jungfrau für die arme Seele der Irren und für die Erhaltung ihres eigenen, so arg malträtierten Verstandes. Irgendwann, Mäu kommt es immer wie eine Ewigkeit vor, hat der Wahnwitz dann ein Ende. Die junge Frau, von den schlimmen Heimsuchungen gänzlich entkräftet, schläft danach für viele Stunden durch, was Mäu auf ihrem Strohbündel endlich aufatmen und wenigsten für eine Weile zu ungestörtem Schlaf kommen lässt. Zu ihrem Leidwesen sind diese wohltuenden Phasen der Stille allerdings viel zu knapp bemessen, denn sobald die Unsinnige aus dem Schlaf erwacht ist, geht der grauenvolle Irrwitz wieder weiter.
In letzter Zeit ist es immer kälter geworden und Mäu versucht, sich mit Lagen von Stroh, welches zum Teil feucht und vermodert ist und von Läusen nur so wimmelt, einigermaßen warm zu halten, denn sie verfügt über keinerlei Decken und friert entsetzlich. Ein etwa kindskopfgroßes, scharf nach Urin und Exkrementen riechendes Loch im Boden, welches scheinbar direkt in den Main
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