Die Siechenmagd
den Stadttoren. Ist in Frankfurt inzwischen schon so bekannt wie ein bunter Hund. Was meinst du, alter Knabe, willst du heute noch auf große Fahrt gehen?“, fragt der Aufseher den alten Mann, der wie immer kein Wort sagt und mit unbewegter Miene vor sich hinstiert, ohne dabei ein einziges Mal zu blinzeln.
„Eine Antwort habe ich freilich nicht von dir erwartet, Herr Professor, aber ich denke, das geht schon in Ordnung, wenn wir den ,toden Josef’ rauslassen“, endet der Gefängniswärter.
„Also gut! Ich glaube auch, mit seinem Temperament kann der nicht mal einer Fliege gefährlich werden“, mokiert sich der Stöcker und nickt zustimmend.
Der Turmwärter führt den Gewaltdiener daraufhin zu einer älteren, übergewichtigen Frau mit einem pausbäckigen Kindergesicht, die während ihrer Visitierung verschämt auf den Boden blickt und verlegen kichert.
„Das Sachsenhäuser Entchen ist ein liebes, schwachsinniges Ding. Wenn es eine gute Herrschaft finden tät, die Verständnis dafür hätt, dass es bei ihm im Kopf ein bisschen langsam zugeht, würde es bestimmt eine brauchbare Magd abgeben. Ihre Mutter war Dienstmagd auf einem großen Hofgut im Sachsenhäuser Forst, hat die kleine Schwachsinnige immer bei sich gehabt. Dann hat die Alte eines Tages der Schlag getroffen und um das Entchen hat sich keiner mehr gekümmert. Seit gut zwanzig Jahren ist sie jetzt hier im Turm und hilft uns aus, wo sie kann. Ein braves Ding und macht uns kaum Umstände. Ist ein Kind geblieben, auch auf seine alten Tage noch, macht sich aus dem Stroh Puppen und bespricht sich mit ihnen. Wie sie draußen zurechtkommen soll, weiß ich allerdings nicht. Wird allenthalben viel gehänselt werden, das arme Mensch“, gibt der alte Wärter zu bedenken.
„Das soll nicht unsere Sorge sein“, erwidert der Gewaltdiener schroff. „Soll sich doch der alte Totenkopf ein bisschen um sie bekümmern“, fügt er gehässig hinzu. „Hauptsache, die Bagage hockt bald im Narrenschiff * und frisst nicht mehr länger unser Brot. Gut, das wäre also erledigt“, wendet er sich wieder an den Wärter, „die zwei kriegen nachher ihre Tagesration Brot und jeder einen Taler Zehrgeld von mir ausgehändigt. Dann bringen wir sie runter zum Main und setzen sie in einen Kahn, der sie flussabwärts bringt, vielleicht bis Mainz, vielleicht auch bis Bingen, die Strömung ist ja momentan durch das Hochwasser recht stark. Mit einem Staken können sie sich dann ans Ufer bringen, aber erst weit außerhalb von Frankfurt, und die Narren müssen sich auch unbedingt verpflichten, die Stadt nicht mehr zu betreten“, beendet der Stöcker seine Ausführungen, ergreift ein Schereisen und beginnt rasch damit, dem Entchen die Haare abzuschneiden.
„Sollen doch nachher für ihre Reise fein hergerichtet sein, unsere Dollen“, bemerkt er sarkastisch.
Die anderen Büttel sind auch schon emsig am Scheren, die Zeit drängt und sie wollen bis zum Mittag mit der Generalreinigung fertig sein.
Nachdem die Häftlinge alle kahl geschoren sind, tritt der alte Lochmeister mit einer Fackel in der Hand an Edu heran und fordert ihn auf, ihm nach unten zu folgen. Während der Abdecker bereits den Tragekorb mit dem frischen Stroh geschultert und den Wassereimer ergriffen hat, ermahnt ihn der Stöcker, sich unten im Brückenloch nicht zu lange herumzudrücken, er brauche ihn nachher noch, um das alte Stroh wegzuschleppen und die zwei Narren zum Main zu bringen.
Schweigsam läuft Edu hinter dem alten Wärter die Wendeltreppe herunter, bis sie zu einem ebenerdigen, runden Raum mit kleinen Fensternischen gelangen, der dem Gefängnispersonal wohl als eine Art Aufenthaltsraum dient und in dem auch zwei Schlafpritschen stehen. Nahe der Wand, neben allerlei Ketten und alten Halseisen befindet sich die vergitterte Falltür, die zum Brückenloch führt. Der Abdecker stellt den Wasserbottich auf den Lehmboden neben die Luke und nimmt dabei einen starken Modergeruch wahr, der vom Verlies nach oben dringt. Entschlossen greift er nach dem dicken, verrosteten Eisenring, um die Falltür zu öffnen, als sich der Aufseher kurz räuspert und ihn gleich darauf anspricht:
„Willst runter zu deiner Kleinen, Schundmummel, kann ich verstehen. Lass dir ruhig Zeit, wir kommen da oben schon klar! Der Stöcker soll sich bloß nicht so aufspielen, der ist auch nichts Besseres als wir und hat unsereinem gar nichts zu sagen“, bemerkt er trocken und zwinkert Edu gutwillig zu.
„Ihr wisst davon, dass unsere Tochter
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