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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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Begleitung ihrer alten Amme eine Wallfahrt zum Kloster St. Hubert in den Ardennen. Der heilige Hubert, dessen Gebeine in dem Kloster aufbewahrt wurden, galt als der Schutzpatron der Kranken von Sinnen. In feierlichen Bittgottesdiensten wurden die Tobsüchtigen und von der Tollwut Befallenen mit geweihtem Wasser besprengt und sie entzündeten Kerzen vor dem Reliquienschrein des Heiligen. Ein anderes Wallfahrtsziel, das sie aufsuchte, war das Kloster des heiligen Cornelius in der Eifel. Dorthin pilgerten besonders die Gemütskranken und Fallsüchtigen. In der Kirche, in der sich sämtliche Reliquien des Heiligen befanden, beteten die Kranken zu ihrem Schutzpatron um Heilung und erhielten das gesegnete „Corneliusbrot“ und geweihtes Wasser aus dem Trinkhorn des Heiligen gereicht.
    Doch nachdem auch das nichts genutzt hatte und sie erneut in die gefürchteten Zustände heilloser Raserei verfiel, entschloss sie sich schließlich auf Anraten von Pater Albertus, eine Teufelsaustreibung an sich vornehmen zu lassen, die sich im Nachhinein noch um einiges schlimmer für sie gestaltete, als ihre Heimsuchungen. Die Peterskirche war an diesem Schreckenstag voll bis unters Dach und musste sogar geschlossen werden, weil nicht mal mehr eine Mäus darin Platz gefunden hätte, so stark war der Besucherandrang gewesen. Vor der gaffenden Meute unterzogen sie der Pater und ein Gehilfe der reinsten Tortur. Schlugen sie heftig ins Gesicht, piesackten ihren ganzen Körper mit heißen Silbernadeln, bedrohten sie, oder besser gesagt den bösen Geist in ihr, schließlich gar mit dem Tode. Aber auch das half nichts, denn der Dämon blieb hartnäckig. Nahezu fünf Jahre trägt sie ihn nun schon in sich. Inzwischen hat sie längst resigniert und wünscht sich eigentlich nur noch den Tod. Unzählige Male hat sie nun schon versucht, ihrem Leben gewaltsam ein Ende zu setzen, doch dank der fürsorglichen Bewachung ihrer alten Magd, wurde sie, manchmal schon halb tot, immer wieder zwanghaft ins Dasein zurückgeholt.
    Auch ihre Verwandten haben sie aufgegeben, lassen sie hin und wieder für unbestimmte Zeit in den Turm sperren, und wenn sie besonders unartig war, setzt man sie gar ins Loch.
    „Zuweilen frage ich mich, warum Gott mich so straft. Was habe ich denn so Schlimmes verbrochen, dass er mich so heimsucht?“, endet Annchen ihre Ausführungen.
    „Das frage ich mich auch manchmal!“, entgegnet Mäu niedergeschlagen und gibt Annchen gegenüber offen zu, dass auch sie sich zuweilen am liebsten umbringen würde, wenn sie könnte. Auf Annchens Anfrage hin schildert sie ihr daraufhin in knappen Worten ihr eigenes Verhängnis und merkt dabei, wie gut es ihr tut, nach der langen Zeit der Einzelhaft, in der gewissermaßen „geläuterten“ Mitgefangenen nun einen verständigen Menschen gefunden zu haben, mit dem sie sich austauschen kann.
    Als sich nach ein paar Tagen die Deckenluke öffnet und Annchen an einem Seil wieder nach oben geholt wird, bedauert sie es regelrecht, künftig auf die Gesellschaft der unglückseligen jungen Frau verzichten zu müssen, und fühlt sich entsetzlich alleine in ihrem dunklen Kerker. Immer mehr versinkt sie in eine abgrundtiefe, stumpfe Apathie aus der sie nichts herauszureißen vermag. Selbst das Brot lässt sie unberührt auf dem Lehmboden liegen und überlässt es gleichgültig den Nagetieren. Die Entscheidung, konsequent die Nahrung zu verweigern und dadurch langsam aber sicher dem Hungertod zu erliegen, beginnt sich in ihrem Inneren machtvoll zu behaupten, und bar jeder Hoffnung auf ein gutes Ende, verbleibt ihr so wenigstens noch die Hoffnung auf ein baldiges, souffliert sie sich selber in neuer, nie gekannter Lebensverachtung.

 
20. F risches Stroh
     
     
     
    Es ist Frühling geworden, und allmählich beginnen die Menschen wieder, in dem durch die Pest so grässlich entvölkerten Franfurt, zu ihren alltäglichen Verrichtungen und Gewohnheiten zurückzukehren.
    In den beiden städtischen Gefängnistürmen soll im Zuge einer Generalreinigung, die viermal im Jahr stattfindet und der auch die Insassen unterzogen werden, das Stroh erneuert werden. Bei diesen Gelegenheiten werden die Gefangenen von den Gefängnisbütteln und Stadtknechten kahl geschoren und gesäubert. Durch die Pest ist auch unter den Angehörigen des einfachen städtischen Dienstes, ebenso wie in allen Bereichen des täglichen Lebens, das Personal entsprechend ausgedünnt. Frankfurt verfügt zurzeit weder über einen Bürgermeister noch

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