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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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über einen Scharfrichter, und so erhält der städtische Abdecker Edu Dunckel vom Stöcker, einem normalerweise dem Henker unterstehenden Schergen, den Auftrag, bei der Säuberung in den Türmen mitzuhelfen.
    Ein leichter Nieselregen hat eingesetzt, als der Stöcker, der Abdecker und ein Stadtknecht an einem kühlen Aprilmorgen mit zwei Eselskarren zum städtischen Rahmhof fahren, um dort das Stroh aufzuladen.
    In der Gegend um das Eschenheimertor, die früher auch „zu den Gärten“ genannt wurde, herrschen landwirtschaftliche Betriebe mit großen Wirtschaftshöfen, Scheunen und Weingärten vor. Schon zweimal ist einer der Karren in dem vom Regen aufgeweichten, bodenlosen Morast stecken geblieben, der sich, entstanden durch Schweinehaltung und Mistablagerung, in den ungepflasterten Gassen gebildet hat, und muss jedesmal wieder unter vereinten Kräften aus dem Dreck gezogen werden. Nachdem die Hofleute den Schergen geholfen haben, das Stroh auf die Karren zu türmen und festzubinden, geht es weiter zum Mainzerturm, wo als Erstes mit der Säuberungsaktion begonnen werden soll. Die beiden Gefängnisbüttel erwarten ihre Verstärkung bereits, helfen ihnen, das Stroh die steile Wendeltreppe hinauf in die Gefangenenstube zu tragen, haben die Holzbottiche schon mit Wasser gefüllt und die Schermesser bereitgelegt. Ebenfalls gerade eingetroffen, ist ein von der Stadt beorderter Bader, der die Gefangenen bei Bedarf zur Ader lässt, ihnen einen faulen Zahn entfernt oder eine Eiterbeule aufschneidet. Im Mainzerturm befinden sich momentan fünf Kranke von Sinnen und zwei Kriminalgefangene.
    „Die paar Rasenden unten im Loch können wir ruhig aussparen, denn diesen Tieren ist der Dreck sowieso egal“, bemerkt einer der Lochmeister kaltschnäuzig. – „Es sei denn, einer von euch will unbedingt da runter klettern“, setzt er spöttisch hinzu und blickt fragend in die Runde. Als keiner darauf etwas erwidert, schlägt er vor, sich doch gleich an die Arbeit zu machen und schon einmal mit dem Scheren der Insassen anzufangen. Jeder Büttel erhält ein Schermesser und knüpft sich der Reihe nach eine der in Ketten gelegten, ausgemergelten Gestalten vor. Dabei gehen die raubeinigen Männer mit ihrer Kundschaft nicht gerade zimperlich um, traktieren die vollkommen verdreckten, verwahrlosten Gesellen wie bei der Schafschur und im Nu ist das faulige Stroh bedeckt mit filzigen Haarbüscheln, in denen die Läuse herumkrabbeln. Anschließend werden die Gefangenen einer Säuberung unterzogen, indem die Schergen ihnen eimerweise kaltes Wasser über die kahlen Köpfe kippen. Nachdem der Abdecker damit betraut worden ist, das alte, durchnässte Stroh zusammenzukehren und in Hängekörbe zu füllen, wird das frische ausgelegt und die Generalreinigung ist damit auch schon beendet. Die Helfer verabschieden sich von den Turmaufsehern, schnallen sich ächzend die schweren Körbe mit dem alten Stroh auf die Rücken und eilen im Gänsemarsch die ausgetretenen Steinstufen der Wendeltreppe herunter ins Freie. Unten angelangt, kippen sie die Körbe mit dem vergammelten Stroh auf den leer geräumten Eselskarren und fahren damit zum Römerberg, um auf Anordnung des Stadtrates hin das Stroh über den schlammigen Platz vor dem Rathaus zu verteilen. Denn häufig genug, erst recht bei schlechtem Wetter, ist der Rathausplatz kaum noch begehbar, will man nicht bis über die Knöchel im Straßenschmutz versinken. Damit ihr gutes Schuhwerk keinen Schaden nimmt und sie trockenen Fußes zu den Ratsstuben gelangen können, stehen den Herren vom Rate zu diesem Zwecke auch spezielle Holzpantinen zur Verfügung.
    Der Zeiger der Räderuhr auf der Römerfassade weist auf die neunte Stunde, als die drei Männer schließlich zum alten Brückenturm aufbrechen, wo die Säuberung ja noch aussteht.
    Endlich! , denkt Edu Dunckel, als sie die Mainbrücke überqueren und sich dem am rechten Mainufer stehenden Gefängnisturm nähern. Den ganzen Morgen schon muss er unentwegt an Mäu denken, und vorhin, beim Anblick der armen Schweine im Mainzerturm, hat er sich gefragt, ob seine Tochter etwa in einem ähnlich desolaten Zustand ist wie diese, immer wieder darum bemüht, sich seine Bekümmerung gegenüber den stumpfsinnigen, abgebrühten Bütteln nicht anmerken zu lassen.
    Edu ist durch den Tod seiner Frau noch einsamer und verschlossener geworden als er es sowieso schon war. Er vermisst Anna, mit der er sich während ihrer langjährigen Ehe so häufig gestritten hat,

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