Die Siechenmagd
ihn stolz wie eine Patrizierin, und niemand, der sie so sieht, würde in ihr die Abdeckersfrau und Leprösenmagd vermuten. Hinter den beiden hübschen Frauen herhumpelnd in seiner grauen Tracht wirkt Theodor wie ein flügellahmer Kranich.
„Seid gegrüßt, Herr Neuhaus. Das ist meine Tochter Mäu, die ich Euch als Magd empfohlen habe. Wir sind extra etwas früher gekommen, damit Ihr sie in Ruhe kennen lernen könnt. Sie ist manchmal etwas widerspenstig, aber ein braves, fleißiges Ding und auch nicht dumm“, richtet Anna das Wort an den Gastgeber.
„Ich freue mich, dass Ihr da seid, und besonders auch, Eure Tochter endlich einmal zu Gesicht zu kriegen. Wir haben noch Zeit, bis die Tafel eröffnet wird, und wenn die Jungfer will, machen wir einen Rundgang über den Hof, und ich zeige ihr meine Heimstatt und was sie alles zu tun hat, wenn sie mir als Magd dient“, schlägt Neuhaus vor, während er Mäu ausgiebig mustert. Mäu nickt zustimmend und blickt dabei verstohlen in das knotige Gesicht von Neuhaus, das mit weißen Salbenflecken bedeckt ist. Abgesehen davon, sieht er gar nicht so schlimm aus, denkt sie sich. Wirkt eher wie ein feiner Herr, trotz der Siechenkleidung. Schäbiger hat sie ihn sich vorgestellt und verstümmelter, wie die meisten Aussätzigen, die man am Karfreitag in Frankfurt sieht, wenn sie einem klappernd und rasselnd entgegenkommen. *
Theodor und Anna gehen gemeinsam mit Ulrich und Mäu nach draußen auf den Innenhof, wo sich die beiden Paare trennen. Ein wenig ängstlich folgt Mäu dem Gastgeber zu dem Hauptgebäude. Sie gehen einen langen Gang entlang, bis sie vor einer Tür angekommen sind, die Neuhaus öffnet.
„Tritt ein und bring Glück herein“, sagt er und hält Mäu höflich die Tür auf. Mäu betritt die geräumige Stube und staunt über die Behaglichkeit, mit der sie eingerichtet ist. Wände und Decke sind mit einer Holztäfelung versehen, die feines Schnitzwerk aufweist. An der einen Wand steht ein großer Kachelofen, auf dessen Gesims bunt bemalte Krüge und Teller stehen. Um den Ofen und rings an den Wänden ziehen sich Holzbänke hin, die mit Kissen und Decken aus feinem Stoff ausgelegt sind. In der Mitte des Raumes steht ein großer, schwerer Tisch auf kunstvoll geschnitzten, runden Beinen. Drei Stühle mit geschweiften Lehnen sind um ihn gruppiert. Neuhaus zieht einen der Stühle vor und bietet Mäu an, Platz zu nehmen und von den roten Trauben zu kosten, die prall und üppig in einer Glasschale liegen. Zaghaft bedient sich Mäu und kann nicht verhehlen, wie gut ihr die Früchte schmecken.
„Iss nur mein Kind, aber iss dich nicht satt, denn nachher gibt es noch was Besseres für dich. Wie ist eigentlich dein richtiger Name? Mäu ist ein Name für eine Katze, aber doch nicht für so ein hübsches Mädchen wie dich“, wendet sich Neuhaus Mäu zu und blickt sie voller Wohlbehagen an.
„Ich heiße Maria, aber so nennt mich eigentlich niemand. Für alle bin ich die Mäu. Das war schon immer so“, antwortet sie schüchtern und schaut sich dabei im Zimmer um.
„Ich werde dich Maria nennen, wie es sich bei einer Jungfer im heiratsfähigen Alter gebührt“, entscheidet Neuhaus.
„Nun, Jungfer Maria, du wirst als Siechenmagd für mich arbeiten und bist daher von größter Wichtigkeit für mich, da ich gezwungen bin, hier zu leben und den Hof nur in Ausnahmefällen verlassen darf. Du bist also mein verlängerter Arm, wirst für mich auf den Markt gehen und einkaufen, was ich benötige. Du wirst Botengänge und andere Besorgungen für mich erledigen, wenn es nötig ist. Außerdem sollst du meinen Haushalt versorgen und meine Wäsche waschen. Da es hier keinen anständigen Bartscherer gibt, gehört es fortan auch zu deinen Aufgaben, mich täglich zu rasieren. Ich weiß, dass es mühevoll und ekelerregend ist, für dich als gesundes, junges Weib, einen Aussätzigen wie mich zu umsorgen. Dafür werde ich dich großzügig entlohnen. An jedem Monatsende erhältst du von mir deinen Lohn, der dreimal so hoch ist, wie der, den ich meinem Gesinde in der Stadt gezahlt habe. Ich werde für deine Kleidung aufkommen, denn als meine Magd, die auch in der Stadt für mich Erledigungen durchführt, sollst du respektabel und ansehnlich gewandet sein. Von allen Lebensmitteln, die du für mich einkaufst, darfst du ein Viertel für dich nehmen. Ich werde regelmäßig mit dir abrechnen und alle Ausgaben genau verbuchen, wie ich es mein Leben lang mit meinen Angestellten gehalten habe. Sollte
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