Die Siechenmagd
ärgerlich und drängt darauf, nach Hause zu gehen. Doch Mäu bittet die Mutter, schon vorauszugehen, sie wird sie auf dem Feld bald einholen. Sie nähert sich Katharina und sieht, dass diese mit leeren, traurigen Augen in den klaren Nachthimmel blickt. Sie wirkt sehr unglücklich auf Mäu, die die schöne Frau während des Festmahls sehr bewundert hat und von ihrem Musizieren tief ergriffen war.
„Eure Geschichte eben, die hat eingeschlagen, wie der Blitz! Wahrscheinlich fühlt Ihr Euch genauso wie die arme Isolde“, flüstert Mäu zaghaft in ihre Richtung.
„Du bist die Tochter des Schinders, die neue Magd von Bruder Ulrich. Ich sag’s dir ganz drastisch, Mädchen: Früher hätte ich dich noch nicht mal mit dem Arsch angeguckt, geschweige denn überhaupt mit dir gesprochen. Doch inzwischen, wo ich den lieben, langen Tag nur in verstümmelte Fratzen blicken muss, begrüße ich es, in ein so frisches, hübsches Lärvchen schauen zu können. Setz dich hin, kleine Magd und erzähl mir von dir und deinem gewiss sonderbaren Leben“, erwidert die Angesprochene. „Doch zuvor gehst du in das Küchengebäude, und holst uns einen Krug mit Wein.“
Mäu tut, wie ihr geheißen, und kehrt bald mit Wein und Trinkbechern zurück. Katharina schenkt den Wein in die Becher.
„Zum Wohl, kleine Magd. Wie ist dein Name?“
Nachdem sich Mäu vorgestellt hat und sie miteinander angestoßen haben, erzählt Mäu von sich und wie sie dazu gekommen ist, für Ulrich Neuhaus als Siechenmagd zu arbeiten.
„Ein hartes, beschwerliches Leben, das du führst, Kleine. Aber du hast immerhin den Vorteil, hier nicht dauerhaft leben zu müssen, unter den Gezeichneten. Wenn du deine Arbeit getan hast, kannst du frei deiner Wege gehen und kannst weg von diesem Elend hier. Du glaubst nicht, wie sehr ich dich darum beneide! Auf der Stelle würde ich mit dir tauschen, wenn ich könnte, und wär lieber noch die Tochter des Abdeckers im Galgenviertel, als das, was mir beschieden ist zu sein: eingesperrt in dieser Schattenwelt hier“, entgegnet die edle Frau.
„Mit Verlaub, Frau Katharina, habt Ihr niemals versucht, von hier zu entkommen, wenn Euch doch alles so verhasst ist?“, fragt Mäu.
„Zweimal in den fünf Jahren, die ich schon hier bin, habe ich es versucht. Das eine Mal bin ich nur bis nach Rödelheim gekommen, als mich die Späher vom Waldaufseher festnahmen und hierher zurückbrachten. Das zweite Mal bin ich sogar bis nach Mainz gekommen, wo ich mich einem Pilgerzug nach Worms angeschlossen hatte. Ich war damals schon einige Tage unterwegs und war frohen Mutes, es diesmal geschafft zu haben, als mich die Büttel aus Mainz dingfest machten. Mein Mann hatte mit dem Rest von Macht und Einfluss, die ihm auch als einem Siechen noch geblieben sind, alles in Bewegung gesetzt, selbstverständlich mit der Unterstützung unserer Familie, mich zu finden. Sämtliche Büttel, Schergen und Torwächter im Umkreis von Frankfurt waren in Kenntnis gesetzt und gegen eine fette Belohnung dazu angehalten, ein waches Auge zu haben. Soviel dazu. Und später habe ich es nicht mehr versucht. Aber genug davon. Ich habe dir schon viel zu viel erzählt, dabei weiß ich gar nicht, ob ich dir trauen kann“, beendet Katharina abrupt ihre Ausführungen.
„Doch, Ihr könnt mir trauen. Ich verspreche Euch, ich werde mein Maul halten, äh, meinen Mund halten, über das, was wir eben geschwätzt haben“, versichert ihr Mäu.
„Gut, ich spüre, dass du mir wohl gesonnen bist. Aber es ist besser, dein einfaches junges Gemüt nicht weiter mit der Schwere meines Geschickes zu belasten. Sag mir Mäu, hast du schon einen Liebsten?“, fragt Katharina, um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Mäu verneint und bricht bald danach auf. Zum Abschied reicht Katharina der Mäu ihre weiche, feingliedrige Hand, die noch immer leicht nach Amber duftet.
Es hinterlässt ein angenehmes Gefühl bei Mäu, während sie sich über das weite Feld dem Abdeckerhof nähert, der verschlafen im hellen Mondlicht liegt.
4. Messetreiben
Mäu verlässt eiligen Schrittes den Gutleuthof. Immer wieder ist sie froh darüber, wenn sich das schwere Eichenportal auftut und sie den festungsähnlichen Bereich des Leprosoriums verlassen kann. Es ist ein milder, sonniger Herbsttag und sie ist voll freudiger Erwartung, denn heute in der Früh, angekündigt vom durchdringenden Läuten der Sturmglocke, ist in Frankfurt die Herbstmesse eröffnet worden und ihr Dienstherr hat sie damit
Weitere Kostenlose Bücher