Die Siechenmagd
kalt ab, das wird ihr bestimmt gut tun“, entgegnet Edu schuldbewusst.
Während Anna Mäu den blutigen Kittel behutsam vom Körper nimmt und die roten Striemen auf Armen und Rücken vorsichtig mit Wasser reinigt, bringt Edu die Wundtinktur herbei. Mäu schreit auf, als die Mutter die offenen Wunden damit beträufelt, was den Abdecker zusammenfahren lässt.
Als Mäu versorgt ist und bäuchlings auf ihrem Lager liegt, nähert sich ihr der Vater mit einem Becher Rotwein in den Händen.
„Hier, trink das, davon wirst du besser schlafen können. Ist ein guter Tropfen, haben wir mal von Meister Hans gekriegt“, murmelt er mit belegter Stimme und verzieht sich anschließend zu seiner Bettstatt.
„Und morgen schläfst du dich mal richtig aus und gehst nicht zum Neuhaus, dem falschen Mistkrüppel! Den hätten wir besser an deiner statt verprügeln sollen!“ , knurrt er und ist schon in nächster Minute am Schnarchen.
Für Mäu wird es eine fürchterliche Nacht. Die Striemen auf dem Rücken brennen höllisch, für kurze Zeit fällt sie in unruhigen Schlaf, aus dem sie wie gerädert wieder erwacht. Sie ist von den unguten Ereignissen einfach zu aufgewühlt, um Ruhe finden zu können. Zeitweise weint sie vor unerträglicher Seelenpein, dann wieder hat sie Zustände mit Schweißausbrüchen und dem Gefühl zu ersticken, so eingeengt und ohnmächtig kommt sie sich vor.
Als sie im Morgengrauen des übernächsten Tages mit der Mutter den Abdeckerhof verlässt, fühlt sich Mäu niedergeschlagen wie selten. Sie muss sich die ganze Zeit zusammen nehmen, um nicht in Tränen auszubrechen. In den Momenten tiefster Verzweiflung tröstet sie sich mit der Hoffnung, dass sich schon irgendeine günstige Gelegenheit ergeben wird und dann ist sie weg, auf Nimmerwiedersehen, und zieht mit dem Fuchs und seinen Gesellen über die Lande!
Auch später, als sie ihren Dienstherrn mit einer scharf riechenden Schwefelpaste einreibt, kreisen ihre Gedanken nur um den Fuchs. Fast traumwandlerisch vollzieht sie die üblichen, morgendlichen Rituale:
In einer Räucherschale, die vor dem Gemälde des heiligen Lazarus steht, eines Schutzpatrons der Leprakranken, entzündet sie Weihrauch, der bald den Schwefelgeruch überdeckt. Aus einem großen Steinguttopf, der auf dem Wandbord steht, schöpft sie etwas Flüssigkeit in eine Schale, die sie ihrem Dienstherrn reicht. Es ist eine der zahlreichen Arzneien und Wundermittel, die Neuhaus im Laufe des Tages zu sich zu nehmen pflegt. Diese Medizin, die ein berühmter jüdischer Arzt für ihn zusammengestellt hat, ist besonders teuer und nur die reichsten Leprakranken können sie sich leisten. Es ist das gemeinsam mit Erdrauch-Kraut in einer Suppe gegarte Fleisch der schwarzen Schlange. Neuhaus, genau wie die anderen Kranken, nährt in sich die Hoffnung, dass sich durch den Genuss des Schlangenfleisches die schadhafte Haut abzuschälen beginnt wie bei einer Schlange und die gesunde Haut darunter zum Vorschein kommt.
Widerwillig löffelt er die ekelhafte Brühe in sich rein und würgt die zähen Fleischbrocken herunter, bis es ihm regelrecht das Wasser in die Augen treibt.
„Schenk mir einen Becher Wein ein, Maria, damit ich diesen abscheulichen Geschmack loskriege! Jetzt schlucke ich dieses Zeug schon seit Wochen, das so teuer ist wie Edelsteine, und meine Haut ist davon zwar schon genauso schuppig geworden und schält sich allenthalben wie bei diesem Teufelsreptil, nur was darunter zum Vorschein kommt, sieht alles andere als rosig aus. Naja, vielleicht braucht es einfach noch mehr Zeit. Wir wollen uns in Geduld fassen, wie dereinst der heilige Lazarus. Komm, Jungfer, setz dich und trink einen Becher mit. Bleich und mitgenommen siehst du aus, meine Kleine. Hast du gegreint heute Nacht? – Ja, ja, so ergeht es den Liebesleuten: erst himmelhoch jauchzend, dann zu Tode betrübt. So spielt das Leben! Aber glaub mir, meine Liebe, Gesundheit, das ist das höchste Gut!“, skandiert Neuhaus und erhebt seinen Becher.
Mäu stößt mit ihm an und trinkt in kleinen Schlucken den wohlschmeckenden roten Wein, der in ihrem Bauch eine angenehme Wärme verbreitet und gleichzeitig auch Balsam für ihre angespannten Nerven ist. Leicht umnebelt macht sie sich später mit Gottfried auf den Heimweg. Der Schellenknecht scheint heute um einiges gesprächiger zu sein. Gut gelaunt erzählt er, dass er nachher noch in die Stadt will, seinen Spezi, den Bettelvogt aufsuchen, der Geburtstag hat und seine Kumpane zu einem
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