Die Siechenmagd
inzwischen im Innenhof angelangt und Gottfried verschließt nun schnell hinter ihr die schwere Eichentür mit einem Schlüssel, den er an seinem Gürtel befestigt hat.
„Gottfried, bitte, lasst mich wieder nach draußen! Ich muss auf der Stelle hier raus! Öffnet mir sofort das Tor, ich bin doch nicht eure Gefangene!“, fleht Mäu den Schellenknecht in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung an, doch Gottfried bleibt davon vollkommen unberührt und wendet sich mit unbeteiligter Miene bereits von ihr ab, als, durch das Spektakel angezogen, mehrere Bewohner auf den Innenhof treten. Unter ihnen auch Ulrich Neuhaus, die Priorin Schwester Susanna und Katharina Beltz. Katharina eilt sofort zu Mäu hin und fragt besorgt, was passiert ist.
„Gottfried hat eben meinen Freund umgehauen. Er liegt draußen vor dem Tor und blutet und der sture Bock will mich nicht zu ihm lassen“, stammelt Mäu aufgelöst und fängt zu weinen an. Katharina will sie trösten und beruhigen, doch schon zwängt sich Neuhaus zwischen die beiden Frauen und versucht vehement, Katharina wegzudrängen. Zornig verbietet er ihr, sich einzumischen. Daraufhin kommt es zwischen den beiden zu einem lautstarken Wortwechsel, der jäh von einer schrillen Frauenstimme übertönt wird:
„Ruhe! Augenblicklich Ruhe! Wir sind hier im ehrwürdigen Spital der Guten Leute und nicht unter Waschweibern! Derlei Aufruhr kann ich hier nicht dulden! Ich weiß nicht, was vorgefallen ist, und ich will es auch nicht wissen. Vor ein paar Tagen war in den Morgenstunden schon ein ähnliches Lärmen zu vernehmen und die gleichen Personen wie heute waren daran beteiligt. Bruder Ulrich, ich ermahne Euch hiermit, dafür zu sorgen, dass sich Eure Magd gesittet beträgt. Sollte sie dazu nicht in der Lage sein, so ist sie für den Dienst in unserem Leprosorium nicht geeignet und muss künftig von hier fern bleiben“, befiehlt die Priorin in schneidendem Tonfall, was seine Wirkung nicht verfehlt, denn umgehend kehrt Stille ein, nur Mäu schnieft noch leise vor sich hin. Neuhaus räuspert sich betreten, entschuldigt sich in aller Form bei der Priorin und befiehlt Mäu, sich jetzt aber endlich zu mäßigen und ihm in seine Gemächer zu folgen, wo es noch genug Arbeit für sie gäbe. Als er mit dem niedergeschlagenen Mädchen im Schlepptau den Innenhof überquert, flüstert er Gottfried im Vorbeigehen etwas zu. Der Schellenknecht nickt unmerklich und peilt kurz in Richtung Portal.
In seiner Wohnstube angelangt, fordert Neuhaus Mäu in salbungsvollem Tonfall auf, sich doch erst einmal kurz hinzusetzen, um sich ein wenig zu beruhigen. Nach einer Weile erkundigt er sich freundlich, ob er ihr helfen kann. Sie solle doch jetzt einfach mal frisch von der Leber weg berichten, was sich zugetragen hat und was sie so grämt. Er selber habe doch auch schon arge Schicksalsschläge hinnehmen müssen und bringe gewiss Verständnis für ihre Nöte auf, vielleicht könne er ja sogar Abhilfe schaffen, denn schließlich verfüge er ja immer noch über ein gewisses Ansehen. Inzwischen, so beteuert Neuhaus warmherzig, habe er doch Mäu schon richtig ins Herz geschlossen und wolle ihr wirklich nur gut. Sein armseliges Siechendasein verschönere sie ihm jeden Tag aufs Neue durch ihre Gegenwart und dafür danke er ihr aufrichtig, fügt er ergriffen hinzu. Und seine verschiedenen Übergriffe möge sie ihm doch verzeihen, er wäre doch nur ein verzweifelter, von Gott gestrafter alter Mann! Jetzt aber solle sie sich erst ein wenig sammeln, inzwischen rasiere er sich heute einmal selber.
Schweigend sitzt Mäu da und beginnt nach und nach, ihre in Aufruhr geratenen Gedanken zu ordnen. Nach einer Weile holt sie tief Luft und erzählt ihrem Dienstherrn von dem Vorhaben ihres Vaters, sie mit dem Frettchen zu verheiraten. Offen spricht sie über ihre Abneigung gegen diesen „Bräutigam“. Die Hochzeit sei ein abgekartetes Spiel und für ihren Vater längst schon beschlossene Sache. Der Vetter aus Idstein, ein gemeiner Schuft, sei ganz im Sinne des Abdeckers. Cousin Frieder wäre auch strikt dagegen, dass Mäu weiterhin für Neuhaus als Siechenmagd arbeiten würde.
Neuhaus hat sich zu Mäu an den Tisch gesetzt, hört ihr aufmerksam zu und stellt zwischendurch gezielte Fragen:
„Gehe ich richtig in der Annahme, dass du einem anderen den Vorzug gibst?“, fragt er.
„Ja, so ist es“, antwortet Mäu knapp.
„Wenn doch dein Herz einem anderen gehört, warum verbandelst du dich nicht mit ihm? Auch gegen den
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