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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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behalten will. Mehr noch: Er ist geradezu verrückt nach ihr und möchte sie am liebsten ganz für sich alleine haben und fest an sich binden. Von daher käme es ihm sehr gelegen, wenn Mäu ebenfalls auf dem Gutleuthof leben würde, wie andere Mägde auch, die ihren kranken Dienstherren ins Leprosorium gefolgt waren und im Gesindeflügel neben dem Küchengebäude untergebracht sind. Mäu würde dadurch gleichermaßen in seinen Besitzstand übergehen und müsste ihn auf Lebenszeit umsorgen und für ihn da sein. Er hat nicht gelogen, als er ihr vorhin gesagt hat, dass sie ihm durch ihre Gegenwart sein ansonsten freudloses Leben versüßt. Schwer lastet das Siechenschicksal auf seinem Gemüt. Er, der es immer gewohnt war, aktiv im Leben zu stehen, als angesehener, wohlhabender Stadtbürger auf der Sonnenseite des Lebens beheimatet, muss nun hier, ausgestoßen und kaserniert unter den Aussätzigen, ein unnützes, glanzloses Dasein fristen. Selten, sehr selten, schauen die von draußen mal bei ihm rein. Seine feine Familie, die zahlreichen guten Freunde, die sich alle in seinen fetten Jahren gerne um ihn scharten, scheinen ihn nun mehr oder weniger vergessen zu haben. Die Angst vor der Ansteckung ist offensichtlich größer, als die Zuneigung, die sie in ihren Herzen für ihn hegen, konstatiert er bitter. Die Menschen lernt man am besten kennen, wenn es einem schlecht geht, ja, so ist das! Wer dann noch zu dir hält, ist ein wahrer Freund. Und Neuhaus muss sich eingestehen, dass er diesbezüglich mit leeren Händen dasteht. Aber er weiß auch, dass er zum Teil selber daran Schuld trägt. Er hat sich die Gunst von einflussreichen Freunden immer erkauft, die er dann seinerseits für den eigenen Nutzen einzusetzen wusste. Letztendlich waren es alles Zweckbeziehungen, in denen eine Hand die andere gewaschen hatte. Wahre Neigungen spielten dabei eine eher untergeordnete Rolle. So war es auch in seiner Ehe gewesen. Hildegard, seine Gattin, hatte er ja auch hauptsächlich geheiratet, weil sie als Tochter einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie eine gute Partie war. Begehren oder liebevolle Zuneigung hatten sie kaum für einander empfunden, man hatte im Lauf der Jahre gelernt, sich zu respektieren, ja, – das war aber auch alles. Selbst für seine Amouren hatte er immer bezahlen müssen. Viel Geld und Geschmeide hatte er im Frauenhaus zurückgelassen, damit er seiner Lendenlust frönen konnte. Ja, diese Lendenlust hat ihn viel gekostet, vielleicht sogar seine Gesundheit, wenn man den frommen Kanzelrednern Glauben schenken will, die in der Lepra eine Strafe Gottes für ein ausschweifendes Sexualleben sehen. Sie werfen den Aussätzigen vor, einen gesteigerten Geschlechtstrieb zu haben, der sie zu lasterhafter Unzucht treibt. Schuldbewusst schaut Neuhaus an sich herunter auf seinen Penis, der sich auch auf seine alten Tage noch regt. Aber sei’s drum, was hat er denn noch zu verlieren? Was kann ihm denn noch Schlimmeres zustoßen?
    Den Aussatz hob ich ja schon!, denkt er grimmig, warum also sollte er sich nicht an dieser frischen, jungen Pflaume ergötzen? Er hat ja sonst keine Freuden hier. Die drei kargen Mahlzeiten im Kreise seiner Mitbrüder und -schwestern, die mit Leichenbittermienen in endlose Gebetslitaneien vertieften Krankenvorsteher, bei denen noch jede Betschwester in die Lehre gehen könnte, was die verknöcherte Moralapostelei anbetrifft. Nein, er will diese süße, kleine Magd nicht mehr missen, sie ist ihm das einzige Stück Lebenslust, das ihm noch geblieben ist, und das will er sich auch nicht mehr nehmen lassen. – So verwickelt wie die ganze Angelegenheit ist, wird er es sich bestimmt wieder teuer erkaufen müssen, sein kleines Glück!
    Einige Hindernisse sind zu überwinden, gewisse Schwierigkeiten müssen ausgeräumt werden: Als Erstes muss er den Hundshäuter dazu bringen, von seinem Vorhaben abzurücken, Mäu zu verheiraten. Es wird nicht billig werden, den geldgierigen Schurken dahingehend zu manipulieren. Aber die Habgier von Mäus Vater könnte auch gleichzeitig eine Chance sein, ihn so weit zu kriegen, wie er, Neuhaus, ihn haben will. Er muss ihn überdies so gut schmieren, dass er ihm ein Dekret unterzeichnet, worin festgehalten sein soll, dass ihm Maria auf Lebenszeit als Leprösenmagd angehören soll. Diesen Kontrakt wird er am besten so schnell wie möglich von seinem Advokatus Doktor Schuchardt anfertigen lassen. Die Siechenmagd wird dadurch quasi in seinen Besitz übergehen, wie ein

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