Die Siechenmagd
einen Humpen Bier und eine Portion Leberwürste mit Sauerkraut. Dann setzt er sich an einen der Nachbartische und verfolgt interessiert das Würfelspiel.
„Klingelmann, willste nachher einsteigen?“, fragt ihn ein dicker, rotgesichtiger Büttel.
„Nee Lorenz, bin in Eile. Wollt mich nur mal kurz ein bisschen ausruhn, such eigentlich die Knute, hat den vielleicht jemand von euch gesehen?“, fragt er die Männer.
„Der war vorhin da. Ist dann später mit seinen Leuten zur Badestub am Knäbleinsborn gemacht, da ist doch heut das Seelenbad für die Stadtarmen und da wollt er mal gucken, was da so an fremdem Bettelpack zusammenläuft“, meldet sich aus dem Hintergrund der vierschrötige Schankwirt zu Wort.
„Ach du lieber Gott, dann muss ich ja noch rüber in die Südbezirke! Mir bleibt auch heut kein Marsch erspart! Meister, sei so gut und bring mir noch ‘n Schoppen“, wendet sich der Schellenknecht an den Wirt. Nachdem er in kurzer Zeit die üppige Mahlzeit verdrückt hat und der zweite Bierkrug in drei Zügen gelehrt ist, bezahlt er seine Zeche und bricht auf.
Als er sich dem alten Ziehbrunnen, genannt „der Knäbleinsborn“ nähert, neben dem sich die gleichnamige Badestube befindet, trifft er unterwegs auf Scharen von Bettlern, die alle in den Genuss eines kostenlosen Bades kommen wollen. Denn an einem Abend in der Woche, jeweils an einem bestimmten Wochentag, findet in einer der städtischen Badestuben ein unentgeltliches Bad für die Stadtarmen, Siechen und Bettler statt, die an diesen Abenden ausschließlich den Armen zur Verfügung steht. Die so genannten „Seelenbäder“ oder „Salbadern“ sind in den meisten deutschen Städten eine alte Tradition. Die Badetage für die Bedürftigen, die auch mit Speisungen verknüpft sind, werden von wohltätigen Stadtbürgern gestiftet und enthalten die Verpflichtung zum Beten für den Stifter, und falls es sich um ein Seelenbadvermächtnis handelt, welches am Sterbetag des Wohltäters stattfindet, so beten die Armen und Siechen für das Seelenheil des mildtätigen Spenders. Im allgemeinen Gedränge kann Gottfried bald den Sterzermeister und seine Gesellen ausmachen, denen es verboten ist, in den Badestuben Razzien vorzunehmen, weil es sich bei den Badehäusern seit alters her um befriedete Orte handelt. Deswegen tummeln sich die Bettelaufseher während der Seelenbäder im Umfeld der Badestube, um bei dieser Gelegenheit unrechtmäßige Bettler festzunehmen.
„Arme und Sieche! Dass ich nicht lache! Sind doch wieder nur lose Gesellen, die sich hier ein Seelenbad ergaunern wollen“, schimpft der Knute wütend vor sich hin und begrüßt den Schellenknecht. Die Tatsache, dass der Sterzermeister einmal selber Bettler war, ändert nichts daran, dass ihn die Stadtbettler fürchten und hassen. Zu gut kennt er ihre Tricks und Kniffe, gnadenlos presst er aus ihnen heraus, was ihm Kraft seines städtischen Amtes zusteht: Jeder Bettler, jede Bettlerin muss ihm jährlich sechs Pfennige zahlen. Keiner der Stadtbettler kann ihm entgehen und da die Bettlerzahl jedes Jahr gewaltig ansteigt, ist seine Geldkatze stets prall gefüllt. Doch inzwischen sind Meister Knut und seine Hilfskräfte schon seit langem nicht mehr in der Lage, die gewaltigen, sich täglich vermehrenden Heerscharen der stadtfremden Bettler zu überschauen, geschweige denn zu kontrollieren. Nach letzten Erhebungen des städtischen Rentenamtes beträgt der Bettleranteil mittlerweile zwei Drittel der gesamten Frankfurter Stadtbevölkerung. Das Amt setzt den Bettelvogt zunehmend unter Druck, die Stadtoberen erwarten von ihm, dass er die fremden, so genannten „rüstigen“ Bettler aufgreift und aus der Stadt treibt, denn inzwischen unterscheidet man sehr genau zwischen den unverschuldet in Not geratenen Armen, den körperlich Versehrten, denen es erlaubt ist, um Almosen zu betteln, und den Armen aus Arbeitsscheu, den „validi medicantes“, die als „rüstige“ oder „vitale“ Bettler bezeichnet werden. Auf sie genau hat es der Bettelvogt abgesehen, und er ist an diesem Donnerstagabend in Rage wie ein Jagdhund, der Wild gewittert hat. Während der Seelenbäder kommt es immer wieder zu geballten Festnahmen, doch die städtischen Gefängnistürme platzen inzwischen schon aus allen Nähten und die Turmwächter sind verärgert über die vielen Gefangenen, die sie kaum noch unterzubringen wissen. Sie entlassen die Bettler sobald als möglich, damit sie ihnen nicht das Brot wegfressen oder ihnen sonstwie
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