Die Siechenmagd
meinem Advokatus Doktor Schuchardt. Richte beiden Herren von mir aus, dass die Angelegenheit dringlich ist. Dann besprichst du dich mit dem Bettelmeister und bringst ihn am besten mit hierher, damit ich mit ihm noch einmal alle Einzelheiten durchgehen kann. So, das wär’s fürs Erste. – Aber wart noch, hier hast du ein Weggeld, damit du dich in der Stadt ein wenig stärken kannst, braver Bursche“, fügt Neuhaus jovial hinzu und überreicht Gottfried ein paar Münzen, die dieser freudig entgegennimmt und sich höflich dafür bedankt. Sogleich bricht er auf, um die besprochenen Erledigungen zu tätigen.
7. Der Bettelvogt
Mit Sammelbüchse und Bettelsack ausgestattet, laut mit seiner großen Glocke läutend, zieht Gottfried gemächlichen Schrittes durch die Weißfrauengasse. In den Erdgeschossen der schlichten, zumeist dreigeschossigen Bürgerhäuser, befinden sich die Kontore der kleineren Kaufleute und die Werkstätten verschiedener Zunfthandwerker. Vor dem Weißfrauenstift macht er halt und wartet, dabei unaufhörlich schellend. Aus den Häusern treten nach und nach die Hausfrauen, vereinzelt auch die Kaufmannsgehilfen und Handwerksburschen und entrichten ihre Spenden für die Bedürftigen auf dem Gutleuthof. Mal ist es Brot, mal sind es ein paar Eier, manchmal ist auch eine Schwarte Speck dabei, seltener kommt es in dieser Region vor, dass Münzen in die Sammelbüchse geworfen werden. Die Menschen, die hier leben, sind zwar nicht arm, aber auch nicht wohlhabend. Die Kleidung der Frauen ist eher schlicht. Eine Ausnahme bilden hier die Bewohnerinnen des Weißfrauen-Stifts. Es sind die Töchter der vornehmsten Frankfurter Familien, die hier durch die Ordensdamen eine standesgemäße Bildung erfahren. Aus dem Stiftsportal tritt eine junge Nonne, übergibt dem Schellenknecht einen Korb rotbackiger Äpfel, einen Kringel Blutwurst und steckt zum Schluss noch einige Münzen in die Sammelbüchse.
„Gott vergelt’s, Gott vergelt’s“, murmelt Gottfried nach jeder Gabe und zieht weiter durch die Münzgasse bis hin zum Karmeliterkloster, wo sich auf der gegenüberliegenden Häuserzeile ein Backhaus befindet. Dort bleibt er stehen, läutet kontinuierlich und wartet auf die Almosengeber, die nach und nach auf die Gasse treten. Ein frischer Laib Roggenbrot und ein noch warmer Apfelkuchen wandern in den Bettelsack, aus einem Fenster im Obergeschoss eines Wohnhauses werden zwei Heller aufs Kopfsteinpflaster geworfen, die Gottfried sogleich aufsammelt. Weiter geht es über die Karmelitergasse in Richtung Main bis hinunter zur Alten Mainzergasse, wo sich unweit der Frauenpforte die beiden städtischen Frauenhäuser befinden. Hier, nahe der westlichen Stadtmauer, wird die Gegend allmählich immer verwahrloster. Zahlreiche einfache Schankwirtschaften, die hauptsächlich von Torwächtern, Gefängnisbütteln, Hübscherinnen und ihrem Anhang frequentiert werden, ducken sich unter den überhängenden, windschiefen Fachwerkgiebeln, die die engen Gassen in ein permanentes Halbdunkel tauchen. Im Gassendreck, der mitunter bis weit über die Knöchel reicht, tummeln sich Schweine und Hühner, vereinzelt ist auch ein Straßenköter zu sehen, der sich an den Gerbereiabfällen labt. Direkt an der Stadtmauer befindet sich das Quartier des Bettelmeisters, der dort mit seinen Schergen in kleinen, nischenartigen Maueranbauten haust. Gottfried klopft an die wurmstichige Tür des größten wabenartigen Gebildes aus dicken Natursteinen und ruft dabei laut nach dem Sterzermeister. Drinnen rührt sich nichts. Gottfried ist ärgerlich darüber, dass er den Freund nicht zu Hause antrifft. Er ist heute weiß Gott schon genug herumgelaufen, in der Früh war er ja schon einmal in der Stadt, vorhin im Ratshaus und in der Saalgasse bei diesem Advokaten und dann noch die Sammelrunde durch die für den Donnerstag vorgeschriebenen Gassen. Inzwischen ist er ziemlich fußlahm und beschließt, sich jetzt erst einmal in einer der Schenken hier zu stärken, schließlich ist er auch nicht mehr der Jüngste. Vielleicht erfährt er ja dort etwas über den Verbleib des Bettelvogts oder trifft ihn sogar an. Gottfried steigt die ausgetretenen Stufen einer schmalen Steintreppe hinunter und betritt den gewölbeartigen Schankraum der Wirtschaft „Zum kühlen Grund“, in dem sich drei Torwächter mit zwei Gefängnisbütteln um einen Tisch versammelt haben und lautstark am Würfeln sind. Der Schellenknecht grüßt in die Runde und bestellt beim Wirt
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