Die Siechenmagd
Leinentuch wickelt und auf dem Tisch ausbreitet. Schließlich stellt er noch einen Krug Gewürzwein dazu, jeder kriegt einen „Totenweck“ * und die Mahlzeit kann beginnen. Edus Herz lacht beim Anblick der Speisen.
„Na, Holzmaier, so was Gutes haben wir freilich nicht dabei“, entgegnet er, während er aus seinem Lederbeutel einen Kanten Brot und ein Stück Limburger Käse nimmt und es zu den anderen Sachen auf den Tisch legt.
„Das macht doch nichts, Schundmummel“, erwidert der Totengräber nachsichtig lächelnd, und bald sind die beiden Männer zufrieden am Kauen. Der heiße Würzwein lockert Edus Zunge, er räuspert sich kurz und hebt an, dem Totengräber nach und nach sein Herz auszuschütten. Als er geendet hat, schüttelt der Freund unmutig den Kopf.
„Ei Edu, was ist denn da bloß in dich gefahren! Warum hast du dich auf so einen Kuhhandel überhaupt eingelassen? Das begreif ich nicht, wo es doch auch noch deine Einzige ist, das arme Schlüppsche!“
„Ach, wir wollten dem kleinen Luder halt einen Denkzettel verpassen, ham uns genug über sie ärgern müssen“, antwortet Edu kleinlaut. „Da sind halt mal wieder die Gaul mit uns durchgegangen. Und auch wenn’s kaum einer glauben tut, unsereiner hat ja auch ein Gemüt und es tut einem halt doch manchmal Leid, was man da verbockt hat. Ach, wenn man’s doch nur wieder rückgängig machen könnt!“, fügt er zerknirscht hinzu.
Nachdem er eine Weile nachgedacht hat, rät der Totengräber schließlich dem Freund, noch einmal mit Neuhaus zu reden und ihm vorzuschlagen, den Kontrakt rückgängig zu machen, wenn Edu ihm das Geld wieder aushändigt.
Der Abdecker verspricht, sich das Ganze nochmal durch den Kopf gehen zu lassen und drückt Holzmaier zum Abschied dankbar die Hand.
Das Wohnhaus des Henkers ist sehr alt, seit Jahrhunderten schon dient es den Frankfurter Scharfrichtern als Unterkunft. Es ist das einzige Steinhaus im Quartier der Friedlosen. In distanzierter Nachbarschaft zu den schäbigen Hütten und Katen, ist es an eine steinige Anhöhe gebaut, den so genannten „Rabenstein“, auf welchem hoch aufgerichtet, von drei schweren Holzbalken gestützt, der Galgen steht. Der Rabenstein ist unterkellert und enthält ein kleines Verlies für die Delinquenten. Ein unterirdisches Gewölbe mit Stiegen führt von dort direkt zur Scharfrichterei.
Edu stellt seinen Karren neben einen kahlen, laublosen Baum und bindet dort den Esel fest. Die Fensterläden der Scharfrichterei sind noch immer geschlossen, wahrscheinlich wegen der Herbststürme. Edu klopft ein paarmal an die schwere Eichentür.
„Wer ist da?“, tönt eine weibliche Stimme aus dem Innern.
„Wir sind’s, der Edu. Wollen unseren Gulden holen“, antwortet der Abdecker.
„Komm rein, Schundmummel“, entgegnet die Stimme. Der Abdecker betritt den abgedunkelten Raum. Ilse, die Frau des Henkers, sitzt am Tisch und verzehrt Krapfen, die sie in eine Schale mit Milch taucht. Ihre gelblichen Haare hängen strähnig in das volle Gesicht. Sie ist noch im Nachtgewand und ihr mächtiger Busen wölbt sich prall über dem Ausschnitt.
„Bin noch nicht lange auf. War ein anstrengendes Geschäft gestern. Meister Hans ist unten in seinem Keller. Geh halt runter zu ihm“, entgegnet Ilse kühl und blinzelt den Abdecker aus verschlafenen Augenschlitzen an. Auf ihren schwammigen Oberarmen, die vom weißen Linnen nicht bedeckt sind, schimmern dicke Blutergüsse. Edu durchquert den geräumigen Wohnraum bis zu einer Falltür in der Ecke, die er hochklappt. Er folgt den ausgetretenen Stiegen einer steinernen Wendeltreppe nach unten. Die Wände sind feucht und es riecht nach Moder. Ein Kerzenstummel in einer Wandhalterung verbreitet ein flackerndes Licht. Vorsichtig folgt der Abdecker dem Verlauf der Stufen, bis er vor einer schweren, eisenbeschlagenen Tür angekommen ist. Nachdem er angeklopft hat, betritt er einen düsteren, gewölbeartigen Raum, bei dem es sich um ein altes, nicht mehr genutztes Verlies handelt. Dem Henker dient es als eine Art Arbeitsraum. Hier bewahrt er neben anderen Hinrichtungsutensilien und Folterwerkzeugen auch sein Richtschwert auf, das noch aus der Zeit Karls des Großen stammt. Solange schon ist es im Besitz seiner Familie und wird jeweils vom Vater an den ältesten Sohn weitergegeben. Die Inschrift auf dem schweren, aus edlem Damaszener-Stahl gefertigten Schwert lautet:
„Gott fällt das Urteil, der Henker ist nur sein Knecht.“ An den Wänden brennen Teerfackeln und
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