Die Siechenmagd
sind, desto mühseliger gestaltet sich das Hausieren. Die meisten Leute sind selbst zu arm, um einen Heller für Zunder aufbringen zu können, und so werden die Landgänger meistens schon gleich an der Tür abgewiesen. Franz und Theres haben Mäu angeboten, dass sie solange bei ihnen in Herbstein bleiben kann, bis sie neue, geeignete Weggefährten gefunden hat. Die Hilfsbereitschaft der Landgänger rührt Mäu und sie verspürt den beiden gegenüber, wie sooft, ein schlechtes Gewissen. Denn die einfachen Leute sind in Bezug auf ihre Person völlig ahnungslos. Sie wissen nicht, dass sie eine Diebin und Mörderin an ihrer Seite haben, nach der in der Frankfurter Gegend wahrscheinlich schon fieberhaft gesucht wird. Zuweilen möchte sie am liebsten mit offenen Karten spielen und vor allem Theres, mit der sie sich während ihrer Reise angefreundet hat, ihr von Angst gepeinigtes Herz ausschütten. Doch sie hält sich zurück. Zum einen, weil sie die gut gemeinte Warnung des Boskenners befolgen möchte, Mitreisenden nicht zuviel von sich preiszugeben, zum anderen will sie nicht die guten Leute mit ihrer verhängnisvollen Lage belasten und sie dadurch zu Mitwissern machen.
Auf ihre arglosen Reisegefährten wirkt Mäu häufig bedrückt und grüblerisch, was sie als Auswirkungen ihres Liebeskummers ansehen. Mäu indes hat panische Angst vor dem Entdecktwerden und wittert überall böswillige Verfolger.
Am späten Nachmittag erreichen sie schließlich das kleine Vogelsbergörtchen Herbstein. Den ganzen Tag über schien die Sonne und die alten, verkrusteten Schneematten begannen schon langsam zu tauen. Die kleine Holzhütte der Hausierer befindet sich direkt am Waldrand. Der Vorplatz ist durch das Tauwetter zu einem einzigen Morast geworden, und auf dem Weg zur Eingangstür versinken sie knöcheltief im Schlamm. Nachdem Franz die morsche Tür aufgeschlossen hat, betreten sie die Hütte, deren karge Ausstattung von bitterster Armut kündet. Auf dem festgestampften Lehmboden liegen ein paar Strohsäcke herum, die neben einem kleinen Holztisch und zwei Schemeln das ganze Mobiliar bilden. Die verwaiste Feuerstelle wirkt derart trostlos in der feuchtkalten Stube, dass der Hausherr umgehend beschließt, ein Feuer zu machen.
„Das Einzige, was wir hier reichlich haben, ist Holz“, sagt Franz, als das Feuer richtig lodert. „Aber Holz kann man leider nicht essen. Den ganzen Winter über sitz ich hier und schnitz die Holzfiguren, damit wir was zu beißen haben.“
Theres hat die Strohsäcke aufgeschüttelt, den Boden gefegt und die Tornister an die Wand gestellt. Die Lebensmittel, die sie als Bezahlung für ihre Waren erhielten, räumt sie sorgfältig in ein Wandbord, in dem auch ein paar Küchenutensilien stehen.
„Wir haben Brot, Schmalz, eine Rolle Handkäse, ein Kännchen Milch und einen Sack Kartoffeln. Das reicht schon für ein paar Tage“, führt Theres aus, während sie die Strohsäcke um die Feuersteile gruppiert und die Kinder darauf bettet. In einem kleinen Hängetopf erwärmt sie etwas Milch und schneidet von dem Brotlaib ein paar Scheiben ab, die sie mit Schmalz bestreicht. Allen knurrt nach der anstrengenden Tour der Magen und so sind die Brote schnell vertilgt. Allmählich wird es wärmer in der Stube, Eischen und Paul kuscheln sich zufrieden aneinander und schlafen sofort ein. Die drei Erwachsenen haben es sich um das Feuer herum ebenfalls bequem gemacht, und Franz legt noch ein paar Holzscheite nach.
„Letztes Jahr sind wir fast zehn Monate übers Land gezogen. Wären wir zu Hause geblieben, dann wären wir inzwischen längst verhungert! Es war der leere Teller, der uns hinausgetrieben hat auf die Wanderschaft. Und wirklich satt gegessen haben wir uns auch unterwegs nur selten. Aber ein knurrender Magen lässt sich einfach leichter ertragen, wenn du die Hoffnung haben kannst, dass es hinter der nächsten Bergkuppe vielleicht besser wird“, sinniert der Hausierer.
„Ja, die Hoffnung ist der beste Weggefährte des Landgängers. Wenn du die nicht mit dabei hast, kannst du grad zu Hause bleiben!“, erwidert Theres.
„Das werd ich beherzigen, wenn ich die nächsten Tage weiterzieh“, entgegnet Mäu nachdenklich.
„Vielleicht schaff ich’s ja doch!“, murmelt sie, wie zu sich selber, während ihr vor Müdigkeit schon fast die Augen zufallen.
Als sie später auf ihrem Strohsack liegt und schon am Einschlafen ist, vernimmt sie die Beischlafgeräusche von Franz und Theres und wird sich dadurch wieder
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